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305Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
Katholizismus hatte333 und so im Kontext des »Anschlusses« rasch auf Distanz zum
Dollfuß-Schuschnigg-Regime ging.
2.6.1 Josef F. Perkonigs Verhältnis zu Religion und katholischer Kirche
Ein Blick in Perkonigs Werk verrät daher viel religiös verbrämten Patriotismus, aber
so gut wie gar keine Kontaktpunkte zur Kirche. Aus seiner Sprache quillt häufig
eine romantische Naturmystik, die jedoch keinerlei Verbindung zu Amtskirche und
Klerus aufweist. Diese Verbindung war auch biographisch nicht vorgezeichnet, wenn
man den Sozialisationshintergrund Perkonigs im Arbeitermilieu der Büchsenma-
cherstadt Ferlach verortet, wo er 1890 geboren wurde. Sein Vater wurde im Zuge
der Besetzung durch Truppen des SHS-Staates gefangen- und in Ljubljana in Haft
genommen. Offenbar im Zuge eines Freiganges, an dem der Vater mit den Söh-
nen zusammentreffen sollte, starb er überraschend an Herzschlag. Perkonig durfte
aufgrund der hermetischen Abriegelung der Demarkationslinie durch die jugosla-
wischen Besatzungstruppen nicht am Begräbnis des Vaters teilnehmen – dieser Um-
stand und die Verbitterung über dessen Verschleppung ließen den Dichter jahrelang
mit grimmigem, innerem Hass kämpfen.334
Die bäuerliche Herkunft der Mutter und Perkonigs Beziehung zu ihr formten
sicherlich seine tiefe Verbundenheit mit dem ländlichen Leben und dem bäuerlichen
Milieu. Perkonig hatte nichts übrig für das städtische Leben, für die modernen Er-
scheinungen der Kunst und ihr urbanes Gehabe. Er war hingegen tief vom Bild des
fleißigen, naturverbundenen und stolzen Bauern geprägt – immer wieder betonte der
Dichter die Bedeutung, die das ländliche Lebensgefühl für ihn und seine Dichtung
hatte.335
Dabei war seine berufliche Laufbahn zunächst weder auf das Büchsenmacher-
noch auf das bäuerliche Milieu hin orientiert. Nach einer Ausbildung als Lehrer kam
er 1912 nach Viktring, wo er in Kontakt mit dem Viktringer Künstlerkreis trat und
wichtige Impulse für sein literarisches Schaffen erhielt.
In der Auseinandersetzung mit der Kunstmäzenin und Malerin Sophie von Moro
(1844–1915) entwickelte Perkonig schon früh jenen Naturmystizismus, mit dem er
seiner Verbundenheit zu Landschaft und Natur Kärntens Ausdruck verleiht und da-
mit eine religiöse Tiefendimension erreicht, die Nussbaumer in seiner Perkonig-
Biographie auch als »Pantheismus« bezeichnet.336
333 »Perkonig war weder Anhänger Habsburgs noch des Politischen Katholizismus, er war kein Wort-
führer im damaligen Streit der Meinungen.« Nussbaumer, E.: Josef Friedrich Perkonig (1965), 238.
334 Ebd., 24 f.
335 Ebd., 27 f.
336 Ebd., 35 f.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353