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Kirche und Habitusentwicklung in
Kärnten94
Die Maßnahmen zielten auf eine Formung der psychischen Verfasstheit der Men-
schen ab. Ihre Vehemenz gibt Aufschlüsse über den Persönlichkeitshaushalt der
Untertanen jener Zeit, den man mit Ankündigungen schrecklicher Strafgerichts-
szenarien zu erschüttern versuchte. Dem angsterfüllten Bangen gegenüber wurde
letztendlich die befreiende Katharsis in Aussicht gestellt. »Ziel der Mission war ja›
dass der Sünder zerknirscht, aber nicht vernichtet, sondern nach der Zerknirschung
wieder emporgehoben wird.«176
Solche Konfessionalisierungs- und Disziplinierungsbemühungen müssen im
Kon text ihrer Zeit gesehen werden. Es liegt nahe, dass die jesuitischen Missionare
aus tiefem Glauben an die Heilsnotwendigkeit ihres Tuns handelten. Zwang wurde
als unabdingbares Mittel zur Belehrung gesehen, freilich erreichte er häufig nur das
Gegenteil. Dies auch, weil man es häufig nicht schaffte, zwischen Unglauben und
Unwissenheit zu differenzieren. Einfache Gläubige unterschieden häufig auch nicht
zwischen Protestantismus und Katholizismus – das eine wurde eben geglaubt, das
andere nicht. »Es ist daher die provokante Frage zu stellen, wie viele der sich offizi-
ell als Katholiken bekennenden Menschen in den österreichischen Alpenländern im
Zeitalter der Gegenreformation erst durch die Tätigkeit der Jesuitenmissionare zu
Protestanten gemacht wurden.«177
Für Kärnten trifft dieser Befund aber nur bedingt zu. Hier war der Protestantis-
mus auch nach 1628 in jenen Gegenden ungebrochen stark, in denen bereits davor
die aktivsten Gemeinden zu finden waren – es handelt sich dabei vor allem um Ge-
meinden im Oberkärntner Raum. Auch wenn viele Menschen im »Geheimen« ihr
Bekenntnis lebten und nach außen den Schein des Katholizismus wahrten, zogen es
nicht wenige vor, auszuwandern.
2.4.2 Emigration, Geheimprotestantismus und Transmigration
Die erste große Auswanderungswelle setzte im Kontext des siebzigtägigen Bekeh-
rungsfeldzugs der Brennerkommission zwischen 1600 und 1604 ein. Der Auswande-
rungszwang wurde an Prädikanten und Lehrern schärfer exekutiert als an anderen
Bevölkerungsteilen. Vorrangige Ziele waren neben den ungarischen Protestanten-
hochburgen Ödenburg und Preßburg vor allem Städte im süddeutschen Raum wie
Bekundung nur selten mitverfolgt werden könne. Alle jedoch »seien dem Preußenkönig zugetan und
haßten den katholischen Klerus, ja selbst die Herrscherin« und würden die Dienstboten zur Häresie
verführen. Die Ortsgeistlichkeit wie auch die Missionare und weltlichen Behörden würden sie zu we-
nig unterstützen, weil es an einheitlichem Vorgehen fehle, häufig versuchten diese, die Bevölkerung
zu decken. Tropper, P. G.: Staatliche Kirchenpolitik (1989), 208 f.
176 Kluger, R.: Kriegsherr (2006), 91.
177 Ebd., 93.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353