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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«140
Volk für seinen christlich, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese
Verfassung.«63
Die Verfassung vom 1. Mai 1934 sah eine erhebliche Schwächung des Parlamen-
tarismus vor. Vier ständisch beschickte Beratungskammern und der Bundesrat64 un-
ter autoritärer Führung sowie eine de facto bedeutungslose Länderkammer bildeten
seine Körperschaften. Für ein Land wie Kärnten, dessen politischer Selbstbehaup-
tungsanspruch gegenüber Wien im Wesentlichen auf der traditionell verankerten
Macht der Stände bzw. Länderkammern beruht, war diese Verfassung äußerst unat-
traktiv. Die »Repräsentanten der Länderpolitik [waren] letztlich Schachfiguren im
politischen Alltag der Bundesregierung«65.
So wurde Österreich schrittweise zu einer »semifaschistisch-autoritäre[n] Dikta-
tur« in der »Tradition des spezifisch österreichischen Autoritarismus«.66 Dies hatte
konkrete Auswirkungen auf das Alltagsleben der Menschen.
1.2.3 Zur »Rekatholisierung« des Alltaglebens
Das Gefühl, eine neue Gegenreformation zu erleben, wurde im Alltag zunächst in
der Schule wahrgenommen. Gerade die Jugend wurde von der »Pfaffenherrschaft«
abgestoßen, erlebte man doch vielfach eine »Klerikalisierung der Schule« mit dem
Zwang zum Schulgottesdienst oder dem Beichtzwang im eigenen Alltag.67 Schul-
direktoren mussten wieder katholisch sein, Schüler und Schülerinnen wurden wie
auch ihre Lehrer und Lehrerinnen zur Teilnahme an religiösen Übungen verpflich-
tet, auch wenn rein rechtlich »niemand […] zu einer kirchlichen Feierlichkeit ge-
zwungen werden« (Artikel 27,3) durfte. Lehrer und Lehrerinnen mussten die Oster-
beichte der Schüler und Schülerinnen überwachen.68
Seitens der katholischen Eliten wollte man zweifellos die verlorengegangene Kon-
trolle über den Lebenswandel der Menschen einer Gesellschaft wiedergewinnen, de-
ren sittlich-moralisches und religiöses Verhalten man zunehmend von Säkularisierung
und Modernität bedroht sah. Tatsächlich war der gelebte Katholizismus im Österreich
der 1930er Jahre ein typischer »Milieukatholizismus« : »sich taufen und firmen lassen,
zu den Feiertagen und zu den Lebensfeiern die katholischen Zeremonien genießen
63 BGBl. Nr. 1 vom 01.05.1934. Kundmachung der Bundesregierung vom 01. Mai 1934, womit die Ver-
fassung 1934 verlautbart wird.
64 Der Bundesrat war eine »Abstimmungskörperschaft ohne Möglichkeit der Gesetzesinitiative«. Binder,
D. A.: Der »Christliche Ständestaat« (1997), 209.
65 Ebd.
66 Ebd., 210.
67 Hanisch, E.: Antiklerikalismus (1999), 14.
68 Hanisch, E.: Der Politische Katholizismus (1988), 62.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353