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181Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
folgenden Kapitel soll dieser Zusammenhang, wie er von katholischen Geistlichen
geschildert wird, vertieft werden.
2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat
2.3.1 Die Wahrnehmung der Kärntner Kirche als Agent der Regierung in Wien
Die wesentlichen Aspekte dieser Wahrnehmung sind kurz und bündig in der Aussage
eines Lavamünder NS-Agitators, der vom dortigen Pfarrer zur Rede gestellt wurde,
auf den Punkt gebracht :
Es war ein Massenaustritt geplant, weil viele wegen feierl. Empfanges eines Internierten
gestraft wurden u. wegen [Haken-]Kreuzmalens. Ich hatte mit dem Führer [der örtlichen
Hitlerbewegung] eine Aussprache. Diese Leute haben folgende Logik : viele von uns sind
ungerecht unschuldig gestraft worden von einer Regierung, die auch der Klerus stützt bzw.
die kath. Kirche. Einer Religionsgemeinschaft, die eine solch ungerechte Regierung gut-
heisst, können wir nicht mehr angehören …215
Aus zahlreichen ausgewerteten Apostasieberichten wird deutlich, dass die Kirchen-
austrittsbewegung im autoritären Ständestaat eine »Reaktion auf bekannte politi-
sche Vorgänge in Österreich«216 war. Mit dem Kirchenaustritt wollte man auch po-
litischen Druck erzeugen : »Es meinen Einzelne, nur durch die Austritte könne die
regierung [sic !] zum Rücktritte gezwungen werden. Also saubere Beweggründe !«217
Die Propaganda zum Austritt, so ein Kleriker, »hat ausgesprochen demonstrativ-
antiösterreichisches Gepräge. Sie erscheint als offener Protest gegen die christliche
Staatsregierung.«218 Die zeitgeschichtlichen Entwicklungen lagen den Geistlichen
also völlig klar vor Augen : »Das Motiv ist : Protest gegen die schwarze Regierung«219,
woraus vielfach gar kein Hehl gemacht wurde, denn viele »geben offen zu, dass es
Protest gegen die schwarze Regierung ist.«220 Dass im Hintergrund jedoch die Ar-
beit an einem politischen Systemwechsel stand, ließ sich leicht erahnen : »Hier wird
sicher im Geheimen gegen Staat und Religion gearbeitet.«221
Gegenmaßnahmen der Regierung hatten offensichtlich das Gegenteil des Beab-
sichtigten zur Folge, denn »[w]ie mir der Beamte [der Bezirkshauptmannschaft,
Anm. d. Verf.] sagte[,] konnte bemerkt werden, dass jedesmal nach einer Regierungs-
215 Oberguggenberger, L.: Abfallsbewegung Pfarre Lavamünd (August 1933).
216 Sulzer, S.: Abfallsbewegung Pfarre St. Leonhard (24.07.1933).
217 Neuwirther, F.: Abfallsbewegung Dekanat Friesach (09.04.1934).
218 Kohlmaier, A.: Abfallsbewegung Pfarre Millstatt (04.06.1934).
219 Gruber, F.: Abfall Pfarre St. Georgen unter Straßburg (12.10.1935).
220 Neuwirther, F.: Apostasien Stadtpfarre Friesach (17.04.1936).
221 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (06.11.1935).
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353