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Einleitung14
fanden. Eine diesbezüglich noch nicht ausreichend erforschte Epoche ist die Zeit des
sogenannten »Christlichen Ständestaates« von 1933/34 bis 1938, in der die illegale
nationalsozialistische Bewegung in Kärnten starken Zulauf nicht zuletzt aufgrund
der hohen Ablehnung des katholisch-autoritären Systems hatte. Dieser Zeitabschnitt
wird im zweiten Hauptteil der vorliegenden Untersuchung behandelt. Eine Analyse
von noch unveröffentlichtem Archivmaterial, das den Umgang der Kärntner Kleri-
ker mit der um sich greifenden Kirchenaustrittsbewegung im »Austrofaschismus«
dokumentiert, wird Kernbestandteil dieses Abschnitts sein.
Die Zeit am Vorabend des »Anschlusses« an Hitler-Deutschland gilt auch als
Schlüsselphase für die Ausprägung der wichtigsten Erinnerungstraditionen des Lan-
des. Unter dem Eindruck des Untergangs der Monarchie und im Banne der Er-
eignisse rund um Abwehrkampf und Volksabstimmung formte sich das kulturelle
Gedächtnis des Landes nachhaltig aus. Fürstenstein und Herzogstuhl, Hemma von
Gurk, die Türkenkriege, die Franzosenzeit, schlussendlich Abwehrkampf und Volks-
abstimmung selbst sind großteils bis zum heutigen Tag wirkmächtige Bestandteile
des offiziellen Landesbewusstseins. Wirkmächtig wurden aber auch Erinnerungs-
traditionen, die Kunst- und Literaturschaffende des Landes – manchmal subtil,
manchmal vordergründig – als »Gegenerinnerungen« zum herrschenden Zeitgeist
konzipiert haben. Welche Rolle die katholische Kirche in diesen offiziellen und in-
offiziellen Erinnerungstraditionen des Landes spielt und wo sie keine Rolle spielt,
soll im dritten Hauptteil der Arbeit anhand von sieben »Gedächtnisgeschichten«
nachgezeichnet werden, die in Kunst, Literatur und Historiographie vorrangig der
Zwischenkriegszeit ihre nachhaltige Formung gefunden haben.
Aus den bisherigen Andeutungen wird klar, dass es sich bei der vorliegenden Un-
tersuchung um keine klassische Kirchengeschichtsschreibung handelt. Vielmehr ist
die Arbeit interdisziplinär orientiert und im Schnittpunkt von Kirchengeschichte,
Soziologie und Kulturwissenschaft angesiedelt. Das äußert sich zunächst daran, dass
die Perspektive vor allem im ersten und im dritten Hauptteil stärker auf langfristige
Entwicklungslinien als auf historische Detailfragen gerichtet ist. So wird als Hinter-
grund der Beziehung von Kirche und Bevölkerung in Kärnten die Ausprägung eines
regionalspezifischen »Habitus« postuliert, dessen Entwicklung gemäß den Einsich-
ten der Prozess- und Figurationssoziologie als Ergebnis von historischen Langfrist-
prozessen dargestellt werden muss. Der Begriff des (Kärntner) Habitus wird dabei
als sachlich treffenderes Synonym zum eher populärwissenschaftlichen Begriff der
(Kärntner) »Seele« verstanden, der deshalb auch im Titel dieser Arbeit in Anfüh-
rungszeichen gesetzt ist.
Der Prozess der Habitusentwicklung in Kärnten reicht teilweise bis ins Mittelal-
ter zurück und ist vom Konfessionellen Zeitalter ebenso wie vom Nationalismus in
entscheidender Weise geprägt worden. Er soll in weiterer Folge mit einem gedächt-
nisgeschichtlichen Ansatz verbunden werden, wie er in den Kulturwissenschaften
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353