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Einleitung24
derheiten des Landes beziehen. Im Folgenden sollen die wichtigsten als Sonderfälle
bezeichneten Phänomene in Zusammenhang mit der Rolle der Kirche(n) in Kärnten
gebracht werden. Als ersten Punkt nennt Valentin »[d]ie besondere Akzentuierung
der Volksgruppenfrage«44.
Der Konflikt rund um die slowenischsprachige Kärntner Bevölkerung zählt sicher-
lich zu den nicht nur tagespolitisch oder medial, sondern auch im wissenschaftlichen
Diskurs besonders intensiv geführten Auseinandersetzungen in Kärnten. Zahlreiche
Publikationen legen in ihrer Beschäftigung mit sozialwissenschaftlichen Fragen zu
Kärnten ihr Hauptaugenmerk auf diesen Konflikt.45
Als historisches Schlüsselereignis wird in diesem Konflikt der Kärntner Abwehr-
kampf gesehen, der Ende 1918 mit der Besetzung Südkärntens durch Truppen des
neu entstandenen SHS-Staates begann und in der Volksabstimmung über den Ver-
bleib der besetzten Teile bei Kärnten am 10. Oktober 1920 sein Ende fand. Zweifel-
los ist »kein Thema im 20. Jahrhundert so identitätsbildend gewesen wie jenes, das
um das Credo ›Kärnten frei und ungeteilt‹ kreist.«46 Zugleich trage dieses Credo
aber, wie etwa von Sozialpsychologen wie Erwin Ringel oder Klaus Ottomeyer im-
mer wieder hingewiesen wurde, eine latente Angst und ein diffuses Misstrauen ge-
genüber der slowenischen Minderheit in Kärnten mit sich,47 was sich in tragischen
historischen Ereignissen wie der Deportation von slowenischsprachigen Kärntnern
und Kärntnerinnen durch die Nationalsozialisten oder im sogenannten Ortstafel-
konflikt der Zweiten Republik gezeigt hat.
Diese Angst und dieses Misstrauen bekommt auch die katholische Kirche zu spü-
ren, insofern man der slowenischsprachigen Bevölkerung Südkärntens eine tradi-
tionell engere Kirchenbindung zuschreiben kann als deutschsprachigen Kärntnern
und Kärntnerinnen in den Gebieten Ober- und Nordkärntens.48 Umgekehrt wurde
auch die katholische Kirche in Kärnten schon im 19. Jahrhundert als Schirmherrin
der slowenischsprachigen Bevölkerung gesehen, was mitunter »von deutschliberaler
Seite als Verrat am eigenen Volk interpretiert«49 wurde. Schon im Vorfeld der Volks-
44 Ebd.
45 Alfred Elste untermauert in Elste, A./Hänisch, D.: Kontinuität (1998), 19, FN 6 diesen Befund mit
der Anführung einer Reihe von einschlägigen Publikationen, die hier noch durch neuere Publikationen
ergänzt sei : Moritsch, A. (Hg.) : Kärntner Slovenen (2000) ; Trießnig, S.: Klerus (2000) ; Hafner, G./
Pandel, M. (Hg.) : Nationale Minderheiten (2010) ; Pirker, J.: Kärntner Ortstafelstreit (2010) ; Bergmann,
A. u. a.: Ein Kärnten (2012) sowie das fünf Bände umfassende Forschungsprojekt zur nationalen Frage in
Kärnten : Karner, S. u. a. (Hg.) : Kärnten (2005) ; vgl. dazu auch Karner, S.: Die nationale Frage (2000).
46 Fräss-Ehrfeld, C.: Kärntner Landesbewußtsein (1998), 778.
47 Ringel, E.: Kärntner Seele (2000), 47 ; Ottomeyer, K.: Uhren (2006), 17 ; siehe auch Goldmann, H./
Krall, H./Ottomeyer, K.: Jörg Haider (1992), 144–147.
48 Vgl. Malle, A.: Kirche (2005).
49 Malle, A.: Überlegungen (2015), 11.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353