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Einleitung42
mäler) und institutionalisierte Kommunikation (Rezitation, Begehung, Betrachtung)
wachgehalten wird.«119
Fest und Ritus sind »primäre Organisationsformen« des kulturellen Gedächtnis-
ses. »Die Riten sind die Kanäle, die ›Adern‹, in denen der identitätssichernde Sinn
fließt, die Infrastruktur des Identitätssystems. Gesellschaftliche Identität ist eine Sa-
che herausgehobener, alltagsferner, zeremoniell geformter Kommunikation.«120 So
drücken sich auch in Kärnten die Inhalte des kulturellen Gedächtnisses vorrangig
in den Feierlichkeiten und Gedenkveranstaltungen aus, allen voran in jenen zum
10. Oktober.121
Macht und Dauer von kulturellen Gedächtnisinhalten ergeben sich aus dem Zu-
gehörigkeitsbedürfnis des Individuums an die jeweilige Figuration und sind stark
von affektiven Bindungen des Individuums gesteuert.122 Damit einher geht auch der
abgrenzende Charakter, den das kulturelle Gedächtnis einnehmen kann. Es trennt
das Eigene vom Fremden.
Die Bewahrung von Gedächtnisinhalten, aber auch das gezielte Vergessen beruht
häufig auf Herrschaftsinteressen. »Ohne Zweifel : Herrschaft braucht Herkunft.«123
Herrschaft greift in die Vergangenheit ein, wenn etwa die herrschende Elite genealo-
gisch legitimiert wird, und herrschaftsstabilisierend in die Zukunft vor, wenn Hym-
nen verfasst, Denkmäler errichtet oder Straßen benannt werden.124 Herrschaft kann
aber auch Interesse am Vergessen haben. »Ereignisse, Einbrüche von Kontingenz
lassen sich nicht eliminieren, aber es läßt sich verhindern, daß sie sich zur Geschichte
verdichten.«125
Während also unter bestimmten Umständen die Herrschenden Geschehenes ver-
gessen machen lassen wollen, können Unterdrückte im Gegenzug durch das Gegen-
Erinnern Widerstand leisten.126 Gedächtnis erhält damit auch eine Delegitimie-
rungsfunktion, die in Gegenerinnerungen der Besiegten ihren Niederschlag findet.
Ein Beispiel für Kärnten ist die Diskussion um Mahnmale der NS-Herrschaft wie
der Loibl-Gedenkstätte oder Partisanendenkmäler wie auch die Diskussion um die
Umbenennung von Straßennamen mit »belasteten« Namen von Unterstützern und
Unterstützerinnen des NS-Regimes.127 Erinnerung an Unterdrücktes kann zugleich
119 Assmann, J.: Kollektives Gedächtnis (1988), 12.
120 Assmann, J.: Das kulturelle Gedächtnis (1992), 56, hier 143.
121 Vgl. den Sammelband Burz, U./Pohl, H.-D. (Hg.) : Politische Festtagskultur (2005) sowie Grafe-
nauer, D.: Volksabstimmungsfeiern (2015).
122 Assmann, J.: Erinnern (1995), 61 f.
123 Assmann, J.: Das kulturelle Gedächtnis (1992), 70.
124 Assmann, A.: Erinnerungsräume (2006), 138 f.
125 Aleida Assmann, zit. in Assmann, J.: Das kulturelle Gedächtnis (1992), 72 f.
126 Ebd., 70–73.
127 Gstettner, P.: Erinnern (2012).
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353