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57Theoretische
Vorüberlegungen
haft und steif durchexerzierte Ritualkompilation. In den Jahresfestkreis mischen sich
ununterscheidbar weltliche und sogar politische Rituale (»die Volksabstimmungs-
feier«).
Die dargestellten Beispiele mögen genügen, um einen Einblick zu geben, was
die Auseinandersetzung mit Kunst und Literatur für die vorliegende Fragestellung
leisten kann. Die Auswahl der untersuchten Werke ist hochgradig selektiv und be-
ansprucht keine Repräsentativität, wie dies für quantitative Erhebungsmethoden ge-
fordert wäre – sie ist mit den empirischen Daten im Einleitungskapitel gewährleistet.
Vielmehr werden, im dritten Hauptteil, einzelne, für die untersuchte Fragestellung
als interessant eingestufte Werke herangezogen und in ein Gesamtbild eingeordnet,
das schlussendlich die verschiedenen Facetten der Beziehung von Kirche und Bevöl-
kerung in Kärnten darstellen soll.
Im nun folgenden ersten Hauptteil sollen zunächst die langfristigen Entwicklungs-
linien in der Beziehung von Kirche und Bevölkerung in Kärnten herausgearbeitet
werden. Diese Entwicklungslinien sind vor dem Hintergrund des gesamtgesell-
schaftlichen europäischen Zivilisationsprozesses zu sehen. Heinz Schilling hat dies-
bezüglich darauf hingewiesen, dass man im Hinblick auf die besondere Rolle, die
die Kirchen und Konfessionen für diesen Prozess gespielt haben, von einem »spe-
zifischen religionssoziologischen Profil«175 Europas sprechen müsse. »Vorbereitet
durch die gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen, in denen sich das
Christentum in der Antike zu behaupten und auszubreiten hatte […], bildete sich
bereits im frühen Mittelalter als Grundstruktur europäischer Vergesellschaftung ein
besonderes religionssoziologisches Muster heraus, das Politik, Gesellschaft und Kul-
tur Alteuropas, also das Jahrtausend zwischen 800 und 1800, nachhaltig bestimmte.
In gewandelter Form wirkten die in diesem Rahmen geprägten Kräfte auch im 19.
und 20. Jahrhundert fort, so daß hier eine ›longue durée‹ wie in kaum einem anderen
Bereich der europäischen Geschichte vorliegt.«176
Für die Ausprägung eines »religionssoziologischen Typus Europa« mit seinen re-
gional unterschiedlichen religiösen Verhaltensstandards und damit für die Formung
der Beziehung zwischen Kirchen und Bevölkerung werden drei historische Epochen
bzw. Schlüsselphasen angenommen, die auch die folgenden Erörterungen gliedern
sollen : (1) Jene der Missionierung bzw. Inkulturation des Christentums in die pri-
mären religiösen Systeme Europas, (2) das Zeitalter der Konfessionalisierung, das
in engem Zusammenhang mit der Ausprägung nationaler Identitäten steht, und
schließlich (3) das Zeitalter der Nationalisierung, in dem diese nationalen Identitä-
ten zunehmend säkular verstanden werden. In allen drei Phasen führte die Ausein-
175 Schilling, H.: Der religionssoziologische Typus (1999), 45.
176 Ebd., 41 f.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353