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Kirche und Habitusentwicklung in
Kärnten62
der Salzburger Kirche einer »sanfteren« Missionierungspolitik zu und versuchte,
Priester vor Ort zu ordinieren, um Multiplikatoren aus dem Volk heraus für die neue
Religion zu gewinnen.17
Um der großen Entfernung Salzburgs von den karantanischen Missions gebieten
entgegenzuwirken, wurde die Institution eines Chorbischofs installiert, also eines
völlig von Salzburg abhängigen Suffraganbischofs, dessen Sitz vermutlich in Maria
Saal zu lokalisieren ist.18 Diese Institution wurde zur Mitte des 9. Jahrhunderts vor-
läufig wieder aufgelöst. Im Kontext dessen steht ein Briefverkehr zwischen dem
Chorbischof und dem Papst, in dem »ein drastisches Bild von den Problemen im
Missionsgebiet und von den rauhen Sitten jener Zeit«19 zur Sprache kommt. So wird
dort auch von Klerikern berichtet, die Totschlagdelikte begangen haben. Dies illus-
triert die noch wenig ausgeprägten Mechanismen der Aggressionshemmung und
Affektkontrolle, die sich erst mit der allmählichen Etablierung eines staatlichen Ge-
waltmonopols einstellen werden. Auch im kirchlichen Umfeld hatte also der Befrie-
dungsprozess im menschlichen Umgang miteinander einen noch vergleichsweise
niedrigen Standard.20
Zu Beginn des 9. Jahrhunderts wurde Karantanien, das bislang den Franken als
vorgelagerte »Pufferzone« gegen Osten hin diente, in das Frankenreich integriert.
Weitere Aufstände wurden niedergeschlagen und das Land der slawischen Fürsten
in Reichsgut umgewandelt.21 Die Logik des karolingischen Lehenssystems, das Kö-
nigsland durch Schenkungen an Adel und Kirche zu vergeben und damit personale
Abhängigkeitsverhältnisse – Vasallität – zu schaffen, ermöglichte es Geistlichen, als
weltliche Gebietsherrscher Grundbesitz zu erlangen. Im Gebiet des heutigen Kärn-
ten kam vor allem das Erzstift Salzburg zu bedeutenden Gütern.22
Durch diese Praxis war es für kirchliche Funktionsträger von höchstem Interesse,
»ihre« Missionsgebiete gegenüber den Missionsbemühungen anderer kirchlicher
Machtzentren abzusichern. Für Kärnten ist dabei das Ringen Salzburgs mit dem
Bistum Aquileia zu nennen, in dessen Folge Karl der Große die Drau als Grenze
der beiden Einflussgebiete festgelegt hatte.23 Zugleich war es aber auch durchaus
17 Tropper, C.: Von den Anfängen (2002), 27. Wie sehr man nun versuchte, den »missionsresistenten«
Slawen in den Ostalpenländern entgegenzukommen, zeigt die Einführung eines »Slawenzehents«, der
eine geringere Abgabeverpflichtung vorsah und für einige Gebiete Karantaniens nachgewiesen werden
kann. Dieser »Slawenzehent« bestand bis ins 11. Jahrhundert. Tropper, P. G.: Missionsgebiet (1996),
31–33.
18 Wolfram, H.: Conversio Bagoariorum (1979), 49 ; Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 68 f.
19 Wolfram, H.: Conversio Bagoariorum (1979), 114 f.
20 Angenendt, A.: Geschichte der Religiosität (1997), 79–81.
21 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 72 f.
22 Tropper, C.: Von den Anfängen (2002), 29 f.
23 Diese kirchliche Zuständigkeitsaufteilung zwischen Salzburg und Aquileia blieb bis ins 18. Jahrhun-
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353