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Kirche und Habitusentwicklung in
Kärnten64
Relevanz zukam, etablierten sich als logische Folge lokale Herrschaftsräume – die
spätere, neuzeitliche Macht der Kärntner Stände hat in diesen hochmittelalterlichen
Prozessen ihren Ursprung.30
Die Rolle der Kirche ist dabei bedeutend. »Die Einheit des Landes war vor allem
durch die geistlichen Fürsten gefährdet«31. Die kirchlichen Besitzungen waren mit
rechtlicher Immunität ausgestattet, die herzogliche Gerichtsbarkeit also auf kirch-
lichen Ländereien zahnlos. Darüber hinaus waren nach und nach einzelne, größere
Einflussbereiche der Grafen von Görz und der Ortenburger in Oberkärnten sowie
der Heunburger in Unterkärnten entstanden.32 Diese Konstellation eines de facto
machtlosen Landesherren und eines realpolitisch dominierenden regionalen Adels
ermöglichte es den Eppensteinern, ein aus Franken stammendes, reich begütertes
Adelsgeschlecht mit Machtbasis in der Karantanischen Mark (also der späteren Stei-
ermark), die Herzogswürde zu erlangen und zumindest für kurze Zeit eine lokale
Dynastie zu etablieren.33 Nach ihrem Aussterben 1122 ging die Herzogswürde auf
die Spanheimer über, die das dynastische Prinzip eineinhalb Jahrhunderte aufrecht-
erhalten konnten und einen territorialen Konsolidierungskurs einschlugen. Ihren
Interessen standen aber die mächtigen geistlichen Fürsten vor allem Salzburgs und
Bambergs gegenüber, »die nach dem Ende der Eppensteiner (1122) den [sic !] Her-
zog von Kärnten an Besitz und Macht sowie durch ihre Dienstmannschaft deutlich
überlegen waren.«34
Zwar konnten die Spanheimer mit St. Veit, Klagenfurt und Völkermarkt zur Mitte
des 13. Jahrhunderts zumindest drei landesfürstliche Städte unter herzoglicher Ge-
walt und zentraler Lage vorweisen, verkehrsgeographische Schlüsselstellen und be-
deutende Städte wie Villach und Friesach blieben aber ebenso wie der Oberkärntner
Raum der herzoglichen Kontrolle völlig entzogen.35
So waren auch die ersten Klostergründungen im 11. Jahrhundert ökonomische
und kulturelle Prestigeprojekte einflussreicher Adeliger, die damit ihre lokale
Macht position zu stärken versuchten. Dabei galt es, sich dem Zugriff der Salzbur-
ger Erzbischöfe zu entziehen, was für die ersten beiden Klöster in St. Georgen am
Längsee36 und in Gurk jedoch nicht gelang. Das Stift Ossiach hingegen wurde – ob-
30 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 110 f und 138.
31 Hödl, G.: Die Kirche Salzburgs (2000), 154.
32 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 122 f.
33 Ebd., 144 ; Ogris, A.: Die Anfänge (2011), 17.
34 Hödl, G.: Die Kirche Salzburgs (2000), 154.
35 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 227 f.; Neumann, W.: Kärnten – Grundlinien (1985), 32 ;
Ogris, A.: Die Anfänge (2011), 36.
36 St. Georgen am Längsee wurde zwischen 1002 und 1023 als erstes Kloster in Kärnten gegründet. Die
Stifterin Wichpurg war Schwester des Salzburger Erzbischofs Hartwig, das Frauenkloster wurde dem
Erzbistum Salzburg unterstellt, die Nonnen kamen aus dem Benediktinerinnenkloster am Nonnberg
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353