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65Missionierung
und Christianisierung
wohl nördlich der Drau gelegen – dem Diözesangebiet Aquileias einverleibt,37 die
Klostergründungen in Millstatt und St. Paul konnten sich dem Einfluss Salzburgs
entziehen.38
Die Stiftung des Klosters in Gurk durch die Kärntner Landesheilige Hemma
von Gurk39 steht in enger Verbindung mit den Anfängen des Bistums Gurk, dessen
Gründung einen weiteren, explizit kirchengeschichtlichen Sonderfall kennzeichnet.
Die weite Entfernung des Erzbistums Salzburg von seinen Kärntner Gebieten stellte
ein strukturelles Problem für die seelsorgliche Betreuung der einzelnen Pfarren und
erst recht der Gläubigen dort dar. Der Salzburger Erzbischof Gebhard (1060–1088)
griff deshalb auf die Institution des Chorbischofs zurück, die seit dem 9. Jahrhundert
nicht mehr existierte, aber auch nicht vergessen worden war. Er gründete 1072 das
Bistum Gurk als ein völlig von Salzburg abhängiges »Eigenbistum«, was »für die
damalige Zeit völlig einzigartig«40 war. So ist Gurk nach Salzburg zwar das älteste
Bistum auf dem Gebiet des heutigen Österreich, das Amt des Bischofs von Gurk
war allerdings als bloßes »Seelsorgehilfsamt« konzipiert ; der Gurker Bischof wurde
vom Erzbischof in Salzburg ernannt, eingeführt und geweiht, seine weltlichen Gü-
ter (»Temporalien«) wurden ihm von diesem zugewiesen. »Im Gegensatz zu allen
anderen Bischöfen, die ihre Güter vom Reichsoberhaupt übertragen bekamen, also
reichsunmittelbar waren und damit den Fürstentitel trugen, musste der Gurker Bi-
schof seine Güter vom Salzburger Erzbischof zu Lehen nehmen und war dadurch
kein Reichsfürst.«41 Als Lebensunterhalt sollten dem Bischof die Güter und Ein-
künfte des Nonnenklosters der wohlhabenden Stifterin Hemma von Gurk dienen,
das Gebhard unter dem Vorwurf einer ordenswidrigen Lebensweise (was anderen
Quellen nach zu bezweifeln ist), auflöste.42 Um der realen Gefahr einer Emanzipa-
tion der Gurker Bischöfe vorzubeugen, erhielt das Bistum zunächst aber kein eigenes
Diözesangebiet. Dennoch begann nun ein langer Kampf der Gurker Bischöfe um
Loslösung von der Salzburger Umklammerung. Allmähliche Zugeständnisse43 des
in Salzburg. Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 148 f.; Tropper, P. G.: Missionsgebiet (1996),
61 f.; Tropper, C.: Von den Anfängen (2002), 33.
37 Ossiach wurde etwa zeitgleich mit St. Georgen am Längsee von einem Grafen Ozi mit Gemahlin
Glismond gestiftet, die die Eltern des Patriarchen Poppo von Aquileia waren. Ebd., 34.
38 Das Stift Millstatt wurde in den 1070er Jahren von den bayrischen Aribonen gegründet, das Bene-
diktinerstift St. Paul wurde 1091 von den Spanheimern gegründet und schon 1098 unter päpstlichen
Schutz gestellt. Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 152–159.
39 Vgl. dazu ausführlich Teil III Kapitel 2.2.
40 Tropper, C.: Von den Anfängen (2002), 37.
41 Ebd.
42 Ebd., 36.
43 So erhielt Gurk unter Erzbischof Konrad I. (1106–1147) zunächst ein Domkapitel und 1131 auch ein
Diözesangebiet, das allerdings sehr klein war – im Unterschied zu den Besitzungen, die Bischof und
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353