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Kirche und Habitusentwicklung in
Kärnten76
den anderen innerösterreichischen Ländern gegen einheitliche Rechtsgrundlagen
wehren.82
Die Macht des Kärntner Adels geht auf die politischen und wirtschaftlichen Un-
ruhen des 15. Jahrhunderts zurück, die den Kaiser vollends von einer Mitwirkung
föderaler Kräfte in den Ländern abhängig machten, womit sich die Landstände – die
als Beratungsorgan des Herzogs seit dem 14. Jahrhundert nachweisbar sind – als ei-
genes rechtliches Gebilde formierten. Sie wurden vom Landesfürsten einberufen und
waren für die Steuereintreibung und die Heeresfolge zuständig. Damit wurde ihnen
zugleich ein wichtiges Machtinstrument zugestanden : Die Durchsetzung der kaiser-
lichen Steuern war ohne die Bewilligung durch die Landstände nicht mehr möglich.
Wollte der Kaiser die bäuerlichen Abgabeleistungen »anzapfen«, brauchte er dafür die
Zustimmung der Landstände. Damit waren für die Ausprägung eines Kärntner Habi-
tus wesentliche Weichen gestellt : »Der Zugang des Landesfürsten zum Großteil der
Bevölkerung, nämlich jenen bäuerlichen Untertanen, die außerhalb des landesfürst-
lichen Kammergutes im Verband von Grundherrschaften lebten, deren Inhaber als
Prälaten, Herren und Ritter meist Ständemitglieder waren, führte nur über diese.«83
Durch die finanziellen Belastungen des Venezianerkrieges (1508–1516) geriet der
Kaiser immer stärker in Abhängigkeit von den Landständen. Dann spielte die Er-
oberung Belgrads durch die Osmanen und damit die latent schwelende Gefahr eines
neuerlichen Einfalls osmanischer Truppen dem Kärntner Adel weiter in die Hände.
Im Großen und Ganzen blieb Kärnten im 16. Jahrhundert zwar von neuerlichen
kriegerischen Auseinandersetzungen verschont, dafür waren die Steuerzahlungen
für die Aufwendungen in der Türkenabwehr aber bedrückend. Die Stände hatten
natürlich ein Interesse daran, in Zeiten steigender finanzieller Belastungen die Zahl
der Beitragenden zu erhöhen. Hierin liegt auch ein wesentlicher Grund für die Be-
mühungen der Stände um ein einheitliches Landesterritorium, das die Besitzungen
Salzburgs und Bambergs einschließen sollte.84
82 Ebd., 22–27. Während Karl V. schon 1532 eine »Halsgerichtsordnung« zu etablieren versuchte,
konnte erst 1577 ein entsprechendes Strafrecht mit der Landgerichtsordnung eingerichtet werden.
Im Großen und Ganzen bedeutete die neue Rechtsordnung ein Verlassen der alten Praxis öffentlicher
Anklägerprozesse, die mehr und mehr zu Schauprozessen wurden, hin zum Prinzip der Inquisition,
wie es von kirchlichen Behörden praktiziert wurde. Ebd., 358 f.
83 Ebd., 32. Die Landstände gliederten sich in geistliche und adelige Grundbesitzer, Letztere wiederum
in Herren und Ritter ; dazu kamen noch die Städte und Märkte. Im 16. Jahrhundert dominierte die
Stände der evangelische Adel. Die katholische Geistlichkeit besaß ebenso wie das Bürgertum deutlich
weniger Macht. Während in Tirol, Vorarlberg und Teilen Vorderösterreichs auch Bauern vertreten
waren, hatten diese in Innerösterreich keine Repräsentation im Landtag. Strohmeyer, A.: Widerstand
und Gehorsam (2011), 107.
84 Fräss-Ehrfeld, C.: Die ständische Epoche (1994), 121–125, 229 und 247.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353