Seite - 80 - in Die Kirche und die »Kärntner Seele« - Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
Bild der Seite - 80 -
Text der Seite - 80 -
Kirche und Habitusentwicklung in
Kärnten80
Import99 der neuen Lehre über einschlägiges Schriftmaterial in Form von Postillen
und Flugblättern, später auch Bibeln, und der reformationswillige Adel wirkte als
Verstärker.
Bereits in den frühen 1520er Jahren tauchte reformatorisches Gedankengut in
Klagenfurt, Wolfsberg sowie in den Bergbauorten Bleiberg und Obervellach auf.
Von entscheidender Intensität und Tragweite war die frühreformatorische Bewegung
in Villach, die wesentlich von dem überzeugt protestantisch gesinnten Adeligen
Siegmund von Dietrichstein gefördert wurde.100 Villach war 1526 die erste Stadt
innerhalb der habsburgischen Erbländer, die sich öffentlich als lutherisch bekannte.
Die Verkehrslage Villachs, seine bildungsoffene Oberschicht sowie die territoriale
Zugehörigkeit zum Bistum Bamberg dürften dabei eine gewisse Rolle gespielt haben.
Der Bischof von Bamberg residierte weit entfernt und war überdies – wie auch seine
Verwalter in Kärnten – der neuen Lehre gegenüber aufgeschlossen.101
Während das Bistum Bamberg die Verbreitung der lutherischen Ideen zumin-
dest nicht blockierte, war das Erzbistum Salzburg massiv darauf bedacht, den neuen
Strömungen Einhalt zu gebieten. Erste »gegenreformatorische« Maßnahmen la-
gen zunächst vorrangig im Versuch, den Flugschriftenverkehr zu unterbinden, sie
»waren aber nur in Tirol, Vorarlberg und in Salzburg teilweise erfolgreich, in den
Donauländern und Innerösterreich förderten sie hingegen eine Protesthaltung der
reformatorisch gesinnten Untertanen.«102 1524 ließ das Erzbistum im Oberkärntner
Archidiakonat die Lage in den Pfarren visitieren. Auch der Gurker Bischof reagierte
mit einer Synode und einem Rundschreiben 1524, in dem er den Klerus zu Zucht
und Ordnung mahnt. Zeitgleich wurde in Regensburg das Verbot der Lektüre und
Verbreitung lutherischer Schriften sowie das Studienverbot in Wittenberg durch
Erzherzog Ferdinand im Verbund mit hohen weltlichen und geistlichen Repräsen-
tanten bekräftigt.103
Die Stände in Kärnten allerdings setzten sich über die Regensburger Reformord-
nung von 1524 hinweg und ließen die Reformation wohlwollend gewähren. Die In-
teressen der ständischen Adeligen lagen in einem Gegengewicht zum Zentralherren
einerseits, aber auch in der nun gewitterten Chance, bei einem möglichen Reform-
99 Die Reformation wurde »nicht nach Kärnten ›gebracht‹, wie es in der Legende um die Verbreitung
der Reformation in Kärnten durch eingewanderte sächsische Bergknappen dargestellt wird, sondern
›geholt‹, ausgetauscht und von Kärnten auch weiter verbreitet.« Zeloth, T.: Gesellschaft Kärntens
(2011), 20.
100 Leeb, R.: Die Reformation (2011), 85 f.
101 Fräss-Ehrfeld, C.: Die ständische Epoche (1994), 263–265.
102 Leeb, R.: Die Reformation (2011), 87.
103 Leeb, R.: Reformation (2000), 206 ; Fräss-Ehrfeld, C.: Die ständische Epoche (1994), 270 f.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353