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83Das
Konfessionelle Zeitalter
Im Hintergrund der Ausweisungen, die bis 1575 vollständig durchgeführt wurden,
stand der sich zuspitzende Konflikt zwischen Landständen und Landesfürsten um
die Religionsfrage. Vonseiten der Stände fürchtete man, dass der Landesfürst die
Provokationen der Bewegung als Abweichung von der Confessio Augustana von 1530,
die als Grundlage für die Anerkennung der lutherischen Lehre im Brucker Libell
herangezogen wurde, empfinden hätte können.
Das Brucker Libell wiederum war ein wichtiger Meilenstein im Machtringen zwi-
schen Ständen und Landesfürsten. Nachdem der Augsburger Religionsfrieden 1555
dem Landesfürsten die Bestimmung der Konfession seiner Untertanen zugestand,
versuchten die Kärntner Stände, mit dem bewährten Instrument der Steuerbewilli-
gung auf den Landesfürsten Druck zu machen.117 »Im Ergebnis war damit das Ter-
ritorialisierungsprinzip des Augsburger Religionsfriedens auf die unterste rechtliche
Ebene, nämlich auf die Ebene der Grundherrschaften übertragen worden.«118 1572
wurde am Grazer Landtag den Ständen und ihren Untertanen von Erzherzog Karl
Gewissens- und Kultusfreiheit zugesagt (mit Ausnahme der Städte und Märkte, die
der landesfürstlichen Kontrolle unterstellt blieben).119 Diese »Pazifikation«, deren
Bestätigung 1576 und die (mündlichen) Zugeständnisse Karls II. am Brucker Gene-
rallandtag 1578 wurden von den Ständen als »Brucker Libell« verschriftlicht. Auch
wenn die Stände Anfang der 1580er Jahre mehrmals vergeblich versuchten, eine
schriftliche Bestätigung des Erzherzogs einzuholen,120 stellte das Brucker Libell von
1578 einen großen politischen Etappensieg der Stände dar, vor allem hinsichtlich
der Stellung einzelner landesfürstlicher Städte und Märkte. Für Kärnten bedeutete
das Brucker Libell die amtliche Legalisierung einer bereits davor intakten evangeli-
schen Kirchenorganisation. An ihrer Spitze standen die Adeligen, die die finanzielle
und personelle Grundversorgung sicherten, und der Landtag als politisch-religiöse
Schaltzentrale.121
Nach diesen Zugeständnissen war die evangelische Kirchenorganisation im
Grunde ein »landesherrliches Kirchenregiment« mit den Ständen anstelle des Lan-
desfürsten an der Spitze. Die Kirchenleitung übernahm ein Landtagsausschuss von
abgesetzten Prediger die Bildung »freikirchlicher« flacianischer Parallelgemeinden außerhalb des
etablierten Pfarrnetzes betrieben hätten. Leeb, R.: Die Reformation (2011), 97–100.
117 Leeb, R.: Reformation (2000), 214.
118 Leeb, R.: Die Reformation (2011), 95.
119 Ebd., 91 f.; Fräss-Ehrfeld, C.: Die ständische Epoche (1994), 392 f. Die Stände erkauften sich die
Grazer Pazifikation von 1572 mit der enormen Summe von einer Million Gulden, die sie als Schulden
vom Hof übernahmen. Dies war eine weitverbreitete und als legitim empfundene Vorgehensweise.
Finanzhilfen sollten auch 1578 Tauschgegenstand für Zugeständnisse sein. Strohmeyer, A.: Wider-
stand und Gehorsam (2011), 110.
120 Ebd., 112.
121 Fräss-Ehrfeld, C.: Die ständische Epoche (1994), 392 f.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353