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Kirche und Habitusentwicklung in
Kärnten88
»St.-Peter-und-Paul«-Kirche den Jesuiten übergeben. Sie sollte später zur Domkir-
che werden.143
Nach dem Sieg in der Schlacht am Weißen Berg konnte Kaiser Ferdinand die
Machtbalance zwischen Zentralherrn und Ständen zu seinen Gunsten bewegen. Mit
1. August 1628 befahl er die Ausweisung der protestantischen Adeligen aus Kärnten.
Daraufhin haben 160 Personen aus dem Herren- und Ritterstand das Land verlassen.
Zur Wahrung der teils umfangreichen Besitzungen verblieben jedoch meist Fami-
lienmitglieder im Land, die zu diesem Zwecke auch die Rekatholisierung in Kauf
nahmen.144
Trotz dieses Erfolges scheint es, dass sich der Widerstand der im Land gebliebe-
nen Bevölkerung mit zunehmenden Bedrängungen nur noch weiter zugespitzt hat.
Ungehorsam und sogar öffentliche Verspottung der Maßnahmen sind überliefert.
1631 erließ Kaiser Ferdinand II. als Konsequenz dessen die Ausweisung aller »Aka-
tholischen«, die anhand von Verzeichnissen, die über die Jahre hinweg angefertigt
worden waren, identifiziert werden sollten. Ein entsprechendes Mandat wurde 1632
wiederholt. 1633 drohte der Graf von Ortenburg seinen Untertanen ebenso wie der
Abt von St. Paul mit Ausweisung, ein Jahr später wurden in den Pfarren des Bistums
Gurk Listen mit entsprechenden Personen erstellt.145
Vielerorts blieben die Untertanen dem Zugriff durch die Obrigkeit aber entzogen.
Den Grundherren ging es dabei eher um machtpolitische Interessen als um kon-
fessionelle Gesichtspunkte, waren doch auch kirchliche Grundherren wie die Salz-
burger oder Bamberger Bischöfe träge in der Umsetzung landesfürstlicher Befehle.
Sogar in der Grundherrschaft der Jesuiten in Millstatt wurden Protestanten von ih-
ren Grundherren in gewisser Weise »gedeckt«. Man gab sich mit Äußerlichkeiten
zufrieden. Einzig in dem kleinen Sprengel der Diözese Gurk wurden die Vorgaben
des Tridentinischen Konzils recht früh umgesetzt und damit dem Geheimprotes-
tantismus entgegengewirkt. Alles in allem aber hatten die territoriale Zersplitterung
des Landes und mit ihr die unterschiedlichen lokalen Interessen die Effizienz der
Rekatholisierungsmaßnahmen stark unterwandert. Auch als katholischer Grundherr
war man vorwiegend an der kontinuierlichen Arbeitsleistung der Untertanen inte-
ressiert, dasselbe gilt natürlich ebenso für den Landeshauptmann, der zwar Teil der
143 Ebd., 205 f.
144 Ebd., 217. Diese Ausweisung des Kärntner protestantischen Adels 1628 führte zu einer bemerkens-
werten geschlechtergeschichtlichen Entwicklung : Während ein Großteil der Adeligen auswanderte,
konvertierten die im Land gebliebenen männlichen Familienoberhäupter, um den Besitz zu erhalten.
Deren Söhne konnten höhere Bildung nur bei den Jesuiten in Klagenfurt erlangen. Die Frauen je-
doch blieben mitunter evangelisch und erzogen ihre Töchter weiterhin nach der Lehre Luthers – was
aber ihre Heiratschancen aufgrund eines Verehelichungsverbots nichtig machte, »sodass mit ihnen
der Protestantismus ausstarb.« Tropper, C.: Der Geheimprotestantismus (2011), 298.
145 Höfer, R. K.: Gegenreformatorische Maßnahmen (2011), 212 f.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353