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93Das
Konfessionelle Zeitalter
Volksmissionare aus dem Jesuitenorden traten in regelmäßig abgehaltenen Veran-
staltungen auf, um die Menschen mit dramaturgischen Effekten, Straf- und Droh-
predigten in Frömmigkeit und Gläubigkeit einzuüben und aufzurütteln, schließlich
zu disziplinieren.169 In Kärnten wurde 1636 in der Diözese Gurk die erste Volksmis-
sion durchgeführt. Dabei wurde das Diözesangebiet nach einem festgelegten Plan
durchquert.170 Sie wurde in der Regel von der Kanzel aus angekündigt und mit ihr
ein vollkommener Ablass in Aussicht gestellt. Zur Förderung von Frömmigkeitsfor-
men wurden Andachtsgegenstände wie Gebetsbücher, Weihwasserfläschchen oder
ähnliche Devotionalien unters Volk gebracht. Überdies wurden Beichtzettel ausge-
teilt, die in weiterer Folge einen bestimmten Amtsweg quer durch den Klerus bis hin
zum Generalvikar durchschritten.171 Zwei weitere Missionen fanden in den Jahren
1676 und 1677 statt, die letzte 1748.172 Für diese wurde der Jesuit Ignatius Parhamer
von Maria Theresia nach Kärnten geschickt, der modifizierte und zugleich umstrit-
tene Varianten der Volksmission anwandte.173
Breite Teile der Bevölkerung erkannten das rigorose Vorgehen der Jesuiten bald
als illegitimen Zwang, wurde ja auch in kirchlichen Kreisen dieses Vorgehen mit
»Kriegs- und Feldordnungen« verglichen.174 Zeitgenössische Quellen berichten, wie
die Missionare »gleich mit Feuer und Eisen zur Hand« gingen und »dass sie Leute,
die sich beim ersten oder zweiten Mal dem Missionar nicht fügten, unter Hinteran-
setzung der Nächstenliebe mit Drohungen angingen ; dass sie diejenigen, die nicht
sogleich das Glaubensbekenntnis ablegen wollten, verhaften ließen oder zwingen,
auszuwandern oder dass sie sie auf andere Art peinigten ; […]. Zudem bestünden sie
absolut darauf, dass die Menschen sich des Weihwassers bedienten, den Rosenkranz
beteten und an einem Band um den Hals ein Bildnis der seligen Muttergottes trügen ;
dass sie wollten, dass die Leute ihren Irrtümern öffentlich abschwüren und dass sie
aus nichtigen Gründen die Menschen […] so häufig zur Verzweiflung brachten.«175
169 Der Ablauf einer Volksmission war in zwei Phasen geteilt : In einer ersten Phase wurde zur Beichte
aufgefordert, die in Form einer Generalbeichte über das gesamte Leben erfolgen sollte. Die zweite
Phase bestand aus intensiv gestalteten Messfeiern zur Betonung der sakramentalen Heilsvermittlung
durch die Kirche. Maria als Muttergottes stand dabei im Zentrum und am Höhepunkt wurde die
Gemeinde der Maria geweiht. Kluger, R.: Kriegsherr (2006), 80 f.
170 Tropper, P. G.: Staatliche Kirchenpolitik (1989), 204.
171 Kluger, R.: Kriegsherr (2006), 83.
172 Tropper, P. G.: Staatliche Kirchenpolitik (1989), 204.
173 Kluger, R.: Kriegsherr (2006), 84 f.
174 Besonders die Methoden Parhamers wurden auch von der Geistlichkeit heftig kritisiert, weil sie sehr
stark an militärischen Drill erinnerten. Parhamers Wirken förderte in Kärnten jedoch die Entstehung
von »Christenlehrbruderschaften« und die Pflege des Volksgesangs, sowohl in deutscher als auch
slowenischer Sprache. Tropper, P. G.: Staatliche Kirchenpolitik (1989), 209–213.
175 Kluger, R.: Kriegsherr (2006), 89. In einer undatierten Verteidigungsschrift der Jesuiten wird berich-
tet, dass die Entdeckung der »Akatholischen« in Kärnten relativ schwer sei, weil eine öffentliche
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353