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95Das
Konfessionelle Zeitalter
Regensburg oder Nürnberg.178 Die zweite Wanderungsbewegung in den 1620er Jah-
ren ist im Kontext des Dreißigjährigen Krieges und der schwachen Konjunktur zu
sehen und betraf nun vorwiegend die Landbevölkerung sowie, nach dem kaiserlichen
Generalmandat von 1628, den Adel.179
Nur kurz nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges wurde in Kärnten noch
einmal die Religionsreformationskommission aktiv. 1650/51 begannen daraufhin die
ersten größeren Emigrationsbewegungen, vor allem unter den Bauern.180 Das Bild,
das man katholischerseits von den Ausgewanderten hatte, war bis in das 20. Jahr-
hundert hinein durchwegs negativ. Man war der Auffassung, dass die Exulanten sich
verführen hätten lassen und ausländischen Interessen und Propaganda zum Opfer
gefallen wären.181
Der weitaus größere Teil der Kärntner und Kärntnerinnen entschied sich aber
für den Verbleib im Land und damit für eine äußerliche Anpassung an den aufge-
zwungenen Katholizismus. Einige wohlsituierte Personen konnten es sich leisten,
ihren protestantischen Glauben unter dem Schutz der Stände offen zu leben.182 Die
allermeisten jedoch lebten ihr evangelisches Bekenntnis im privaten Kreis. Die his-
torische Forschung fand für dieses Phänomen den umstrittenen183 und etwas irrefüh-
renden Begriff »Geheimprotestantismus«. Die Tatsache, dass in vielen Gegenden
Personen mit evangelischer Gesinnung lebten, die sich äußerlich katholisch gaben,
war den politischen und kirchlichen Verantwortungsträgern wohl bewusst. Eigent-
lich müsste man von »illegalem Protestantismus« sprechen, war doch die Anhänger-
schaft an eine andere als des Herrschers Konfession vor allem ein politisches Prob-
lem für Letzteren, da es seine Durchsetzungskraft des Augsburger Religionsfriedens
infrage stellte.184
178 Schnabel, W. W.: Exulanten (2011), 220–226.
179 Ebd., 229–233.
180 Leeb, R.: Geheimprotestantismus (2000), 249. Konkrete Zahlen sind umstritten, da häufig nur Fami-
lienoberhäupter berücksichtigt würden, die mit der Zahl fünf oder sechs multipliziert werden müss-
ten. Werner Wilhelm Schnabel geht von mehreren Tausend Personen aus, deren Weg häufig in den
süddeutschen Raum führte. Schnabel, W. W.: Exulanten (2011), 219 f.
181 Ebd.
182 Ebd., 229 f.
183 Der Begriff »Geheimprotestantismus« wurde erstmals am Ende des 19. Jahrhunderts verwendet und
hat sich seither trotz seiner Unschärfe in den Geschichtswissenschaften etabliert. Wiederholt wurde
er als »›Kampfbegriff‹ der protestantischen österreichischen Kirchengeschichtsschreibung« proble-
matisiert. Leeb, R./Scheutz, M./Weikl, D.: Legalität (2009), 7–9.
184 Tropper, C.: Der Geheimprotestantismus (2011), 295. Bei dieser Quellenangabe handelt es sich um
eine gekürzte Version des Beitrags von Tropper, C.: Geheimprotestantismus (2009). Die Autorin hat
zur Thematik außerdem eine Arbeit mit reichhaltigem Quellenmaterial für die Zeit von 1731 bis
1738 vorgelegt : Tropper, C.: Glut (2011).
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353