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Kirche und Habitusentwicklung in
Kärnten102
Schließlich sollten verdächtigen Müttern die Kinder abgenommen und zu »gutka-
tholischen Leuten« gegeben werden.210
Zur Unterstützung der Missionare wurden Dorfrichter eingesetzt, deren Befan-
genheit im sozialen Gefüge des Dorfes den Missionaren aber wenig dienlich war.
Ebenso versuchte man, die Missionare argumentativ zu schulen, indem man sie mit
der lutherischen Literatur vertraut machte.211 Damit waren die Seelsorger vollends
»zu Spitzeln des Staates in sittenpolizeilichen Angelegenheiten geworden.«212 Letzt-
endlich aber erfolglos : »Die vom Staat angeordneten religionspolitischen Maßnah-
men zur Rekatholisierung, die unter dem Mantel der Mission in hervorragender
Weise der Disziplinierung der Bevölkerung dienen sollten, erwiesen sich in der Pra-
xis als kaum wirksam.«213 Schließlich zeigte sich nach Erlass des Toleranzpatents
1781 bzw. 1782, nach drei Jahrzehnten Missionstätigkeit, dass die evangelischen Pas-
torate genau in den Haupteinsatzgebieten der Mission lagen.214
Das staatliche Missionswesen in Kärnten wurde aufgrund finanzieller und perso-
neller, besonders aber wohl wegen der anhaltenden Wirkungslosigkeit abgeschafft
bzw. wurden die Missionsstationen in selbständige Seelsorgeeinheiten umgewan-
delt.215 Religiosen wurden in ihre Klöster zurückgeschickt oder Weltpriester als Ku-
rat bzw. Kaplan einer bestehenden Pfarre zugeteilt. Das führte auch zu einer Ver-
dichtung des Pfarrnetzes. Tatsächlich nachhaltige Veränderungen traten aber erst
mit der Diözesanregulierung unter Kaiser Joseph II. ein.216 Das Agieren Josephs II.
und der danach benannte »Josephinismus« kennzeichnen den Übergang vom Abso-
lutismus zum Nationalen Zeitalter, der dritten großen Epoche in dieser Langfrist-
studie.
210 Ebd., 77–80.
211 Ebd., 221.
212 Ebd., 220.
213 Ebd., 220 f.
214 Ebd.
215 Ein Dekret der Landeshauptmannschaft in Kärnten 1781 spricht diesbezüglich von den »dem Volke
meistens gehässige[n] Namen der Mission und Missionarien« bzw. von den »dem Bauernvolke so
sehr verhaßte[n] Namen der Missionarien«, zit. ebd., 216 f. Tropper weist aber auch darauf hin, dass
diese Ablehnung vonseiten der Bevölkerung dem staatlichen Rigorismus geschuldet sei, denn: »Die
Verordnungen der geistlichen Obrigkeit jener Epoche sprechen durchwegs eine mildere Sprache, die
nicht immer konform geht mit dem Rigorismus, der Unduldsamkeit staatlicher Absichten: Zuneh-
mend tritt dabei das Motiv des Guten Hirten in den Vordergrund, auch in der Seelsorge am Ort.«
Ebd., 222.
216 Ebd., 214–218.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353