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107Das
Nationale Zeitalter
gestellt und »akatholischen« Personen ab einer bestimmten Gemeindegröße die Er-
richtung eines Bethauses erlaubt, das jedoch von außen nicht als solches erkennbar
sein durfte. Der Geistliche durfte frei gewählt werden und Schulen errichtet werden.
Akatholische durften nun völlig legal am Erwerbsleben teilnehmen, akademische
Ausbildungen absolvieren und öffentliche Ämter bekleiden. Diverse finanzielle Hür-
den blieben aber bestehen.238
Für Kärnten wurden erst im Frühjahr 1782 nähere Bestimmungen zur Durch-
führung des Toleranzpatentes erlassen. Die Meldungspflicht protestantischer Un-
tertanen geriet aber zu einem behördlichen Spießrutenlauf mit entsprechenden Be-
schämungsstrategien der Beamten, die ja noch dieselben waren, die wenige Monate
zuvor an der Bekämpfung des Geheimprotestantismus mitgewirkt hatten. Katholi-
sche Kommissare versuchten immer noch, die Übertrittswilligen durch Belehrun-
gen von ihrem »Irrglauben« abzuhalten. Viele Konvertiten beharrten jedoch mit
der Begründung, nun nicht mehr als »Heuchler« leben zu müssen, auf ihrer Ent-
scheidung.239
In Kärnten war das Ausmaß an Übertritten deutlich stärker als von den Behörden
erwartet. Bis Mitte 1783 deklarierten sich über 13.000 Kärntner und Kärntnerin-
nen als »akatholisch«, überwiegend aus ländlichen Gebieten Oberkärntens. Bis 1790
wurden in Österreich 25 Toleranzgemeinden gegründet, 13 davon, also mehr als die
Hälfte, lagen in Kärnten.240 Es ist bemerkenswert, dass sich gerade dort, wo man be-
sonders repressive Maßnahmen gegen den Geheimprotestantismus setzte, nach 1781
Toleranzgemeinden bildeten.241
Alle diese Gemeinden liegen in Oberkärnten, das zwischen 1809 und 1813 im
Zuge der nun beginnenden Napoleonischen Kriege unter französische Verwaltung
gestellt wurde. Diese kurze Epoche bedeutete nicht nur einen zusätzlichen Libe-
ralisierungsschub in religiös-kirchlichen Fragen, indem die Beschränkungen des
Toleranzpatents außer Kraft gesetzt wurden. Die liberale Gesetzgebung des Code
Napoleon kam auch der vorherrschenden Mentalität entgegen.242
238 Stauber, R.: Umbruch zur Toleranz (2011), 326–331.
239 Wadl, W.: Bemerkungen (2011), 339–342.
240 Hanisch-Wolfram, A.: Die Neuzeit (2015), 218–220.
241 Die maria-theresianischen Missionsstationen befanden sich jedoch auch in einigen Orten, in denen
sich nach 1781 nur sehr wenige Menschen als evangelisch deklarierten. Wilhelm Wadl geht infolge
einer Quellenstudie Christine Troppers davon aus, dass dies »nicht durch massive Repression, son-
dern durch das gelindere Mittel einer verstärkten katholischen Seelsorge« erreicht wurde. Für die
Jesuitenherrschaft Millstatt, wo es in den 1730er Jahren noch heftige Bauernaufstände gegeben hatte,
gilt Ähnliches, auch hier haben sich kaum Menschen als Protestanten deklariert. Wadl, W.: Bemer-
kungen (2011), 344.
242 Ebd., 339–342.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353