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109Das
Nationale Zeitalter
auf diese Veränderungen wanderten zahlreiche Geistliche nach Unterkärnten, also
in den österreichischen Teil, aus. Das führte zu einem Priestermangel und zum Frei-
bleiben zahlreicher Seelsorgestationen. Die wenigen verbleibenden Priester wurden
vom französischen Staat nur sehr unregelmäßig bezahlt und verarmten.250
Mit dem Rückeroberungskrieg Preußens begann 1813 auch Österreich einen Be-
freiungskrieg gegen Napoleon. Nach verlustreichen Kämpfen wurde Oberkärnten
im Oktober 1813 wieder österreichisch, wobei es zu Feindseligkeiten zwischen den
österreichischen (!) Militärs und der Bevölkerung gekommen sein soll.251 In den Fol-
gemonaten wurden die französischen Neuerungen wieder rückgängig gemacht, die
alte Kirchenordnung wiederhergestellt und die zivile Eheschließung wieder verbo-
ten. Die alten Adels- und Standesvorrechte wurden ebenso wiederhergestellt, mit
Ausnahme der Steuer- und Gerichtsordnung. Formal blieb Villach dem nun als Ti-
tularkönigreich geführten Illyrien und damit dem Gubernium in Laibach unterstellt.
Das Land blieb bis 1825 verwaltungstechnisch geteilt, dann wurde auch Klagenfurt
bis 1848 dem Illyrischen Gubernium in Laibach unterstellt.252
Die Frage nach der Bewertung jener Jahre für die vorliegende Fragestellung muss
differenziert beantwortet werden. Im Hinblick auf die Restriktionen des Toleranz-
patents, die unter französischer Verwaltung aufgehoben wurden, »hat die neue und
überraschende Freiheit doch einige Auswirkungen gehabt«253, wie Wilhelm Wadl
anhand der Religionsübertrittszahlen in einigen Oberkärntner Gemeinden feststellt.
Zahlreiche Personen nutzten die liberale Gesetzeslage, um zum Protestantismus zu
wechseln und kehrten der katholischen Kirche endgültig den Rücken.254
Überhaupt erschienen die Veränderungen im gesellschaftspolitischen Bereich, die
die neue Gesetzlage und die Aufhebung der Grundherrschaften mit sich brachten,
vielen attraktiv. Dass sie in derart kurzer Zeit nicht spürbar umgesetzt werden konn-
ten, erregte Unmut. »Gerade aber bei den Bauern zeigte sich vielfach auch Enttäu-
schung und daraus resultierende Unruhe, da die verheißungsvollen Aussichten dieser
positiven Schritte nicht von konkreten Veränderungen begleitet waren.«255
So musste die Rückgängigmachung der liberalen Gesellschaftsordnung durch
die Habsburger von vielen Oberkärntner Untertanen als Rückfall in alte Autori-
tätsverhältnisse erlebt werden. »Die Rückkehr unter das habsburgische Herrscher-
haus wurde damals oft als nicht so beglückend empfunden, wie dies vor allem später
entstandene Texte darstellen.«256 Dies hatte nicht nur mit dem Verlust kurzfristig
250 Hanisch-Wolfram, A.: Die Neuzeit (2015), 339.
251 Neumann, D.: Villacher Kreis (2009), 206 f.
252 Hanisch-Wolfram, A.: Die Neuzeit (2015), 303–309.
253 Wadl, W.: Bemerkungen (2011), 342.
254 Ebd.; Hanisch-Wolfram, A.: Protestanten und Slowenen (2010), 33 f.
255 Hanisch-Wolfram, A.: Die Neuzeit (2015), 303–309.
256 Neumann, D.: Villacher Kreis (2009), 208.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353