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113Das
Nationale Zeitalter
übertragen wurde, war der Religionsunterricht jenes Fach, das kontinuierlich in der
Muttersprache der Kinder vermittelt wurde, während dies in gemischtsprachigen
Schulen für die übrigen Gegenstände nur für die erste Schulstufe galt. Ähnliches gilt
für die Übersetzung der Religionsbücher.269
Die Einrichtung des gemeinsamen Priesterseminars in Klagenfurt für die nunmehr
zwei Kärntner Diözesen Gurk und Lavant 1811 war ebenfalls ein wichtiger Impuls für
die slowenischsprachige Emanzipationsbewegung in Kärnten. Es war die einzige hö-
here Bildungsinstitution in Kärnten, die vor 1848 slowenischsprachige Kurse in ihrem
Angebot hatte.270 In diesem Kontext ist Urban Jarnik (1784–1844) zu nennen, einer
der bedeutendsten Geistlichen für die Förderung des Selbstbewusstseins der Kärnt-
ner Slowenen und Sloweninnen bzw. der slowenischen Sprache. Jarnik war nicht nur
Priester, sondern auch Dichter, Sprachwissenschaftler und Volkskundler. Auch er war
habsburgloyal und josephinisch geprägt, die französische Besatzung und Napoleon
lehnte er, im Gegensatz zu einigen Kreisen im deutschsprachigen Bürgertum, ab.271
In der Zusammengehörigkeit von Religion und Nationalbewusstsein sah er enormes
Identifikationspotential für das Kärntner Slowenentum. Jarnik schrieb nicht zuletzt in
der bekannten Kärntner Zeitschrift Carinthia gegen eine systematische Germanisie-
rung Kärntens an, beklagte die ökonomische Schlechterstellung slowenischsprachiger
Bauern, den aggressiven deutschen Nationalismus und die Schulpolitik.272
Neben Urban Jarnik ist auch der aus dem Gailtal stammende Geistliche Matija
Majar-Ziljski (1809–1892) als Förderer des slowenischen Selbstbewusstseins zu nen-
nen.273 In seinen volkskundlichen und sprachwissenschaftlichen Studien versuchte
er, eine einheitliche Schriftsprache für die unterschiedlichen slawischen Sprachen
zu erarbeiten.274 Aufsehen erregte seine Teilnahme an der »Slawenwallfahrt« nach
Moskau 1867 anlässlich des österreichisch-ungarischen Ausgleichs. Die Mitwirkung
an dieser panslawistischen Demonstration gegen die politischen Entwicklungen
brachte ihn in den Konflikt mit dem Gurker Ordinariat, das sich in dieser Causa
aber eher um Sanktionen durch die politische Obrigkeit als um die grundsätzlichen
panslawistischen Umtriebe Majars sorgte.275
Jarniks und Majar-Ziljskis Wirken ist im Kontext größerer Bewegungen wie jene
des Illyrismus und des Panslawismus zu sehen, in deren Sog sich auch »das Minder-
wertigkeitsgefühl der Kärntner Slowenen gegenüber der deutschsprachigen Mehr-
269 Domej, T.: Sprachpolitik und Schule (2002), 118 und 126–130.
270 Ebd., 126 f. und 156 f.
271 Baum, W.: Urban Jarnik (2002), 170 und 185.
272 Ebd., 187 f.
273 Vgl. dazu den ihm gewidmeten Sammelband Moritsch, A. (Hg.) : Matija Majar-Ziljski (1995b).
274 Moritsch, A.: Matija Majar-Ziljski (1995a), 15.
275 Moritsch, A.: »Slavenwallfahrt« 1867 (1995), 225.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353