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117Das
Nationale Zeitalter
von Facharbeitern erlebte – Handwerker und Beamten zählten zu den deutlichen
Sympathisanten der Bewegung.294
Aufschlussreich erscheint dabei, dass in den deutschsprachigen Gebieten Kärn-
tens »antikirchliche Positionen nicht nur unter der Beamtenschaft und dem Bürger-
tum, sondern auch von einem beträchtlichen Teil der Landbevölkerung vertreten
[wurden].«295 So waren es schon im Zuge der Revolution von 1848 bäuerlich ge-
prägte Protestanten, die mit den Idealen des städtischen Bürgertums sympathisier-
ten. Im Unterschied zu weiten Teilen der slowenischsprachigen Bevölkerungsgruppe
waren Kärntner Protestanten zugleich Träger einer deutlichen Anti-Habsburg-Stim-
mung.296
Die liberalen Gesellschaftsentwürfe des 19. Jahrhunderts hatten mit der Dezem-
berverfassung von 1867 auch die Bildung von Assoziationen, also Vereinen, ermög-
licht, die in Kärnten eine wichtige Funktion für die Bündelung politischer Interessen
erhielten. Auf Seiten des deutschnationalen Spektrums erwies sich hier vor allem die
protestantische Vereinskultur als Träger antikatholischer, antihabsburgischer und
deutschnationaler Ideen. Nach dem Protestantenpatent von 1861, das den Evan-
gelischen zumindest theoretisch konfessionelle Gleichberechtigung versichert hatte,
stieg die Zahl von bekennenden Evangelischen in Kärnten in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts um mehr als die Hälfte an, von etwa 16.000 auf über 24.000. Damit
hatte Kärnten mit einem Bevölkerungsanteil von ca. 6 %, konzentriert auf Klagen-
furt, Villach und die Oberkärntner Gebiete mit kryptoprotestantischer Tradition,
nun auch offiziell einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Evangelischen. Im
Zuge der Nationalisierung war es dann vor allem der »Deutsch-evangelische Bund
für die Ostmark« – der Name Österreich wurde aus ideologischen Gründen vermie-
den –, der die Ideen der »Alldeutschen« vertrat und sich bis 1910 eines regen Zulaufs
erfreute.297 Protestantischerseits wehrte man sich zwar offiziell gegen die Vereinnah-
mung der Alldeutschen Bewegung, dennoch gab es zweifellos Pastoren, die im Sinne
des »Los von Rom« argumentierten und predigten.298
Katholischerseits versuchte man auf diese Entwicklungen in mehrfacher Hinsicht
zu reagieren. Zunächst war die organisatorische Vereinheitlichung des kirchlichen
Territoriums in Kärnten gelungen. Nachdem 1848 die Wiederherstellung der poli-
tischen Einheit Kärntens erfolgt war,299 wurde unter Bischof Valentin Wiery (1813–
1880) und durch Mitwirkung des Lavanter Bischofs Slomšek, der den Bischofssitz
294 Burz, U.: Katholisch sein (2001), 472–474.
295 Tropper, P. G.: Ordnung der Frömmigkeit (2011), 39.
296 Hanisch-Wolfram, A.: Die Neuzeit (2015), 448 f.
297 Drobesch, W.: Vereinskultur (2011), 382 f.
298 Burz, U.: Katholisch sein (2001), 475.
299 Hanisch-Wolfram, A.: Die Neuzeit (2015), 440.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353