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Kirche und Habitusentwicklung in
Kärnten118
von St. Andrä im Lavanttal nach Maribor/Marburg verlegen ließ, die Diözese Gurk
1859 zum Kärntner Landesbistum. Sie erhielt die in Kärnten gelegenen Gebiete des
Lavanter Bistums und war nun weitgehend den politischen Grenzen des Landes und
seinen Verwaltungsstrukturen angepasst worden.300
Neben dieser institutionellen Weichenstellung versuchte man dem offenen Anti-
klerikalismus auch durch karitative Maßnahmen und mit dem Aufbau eines katholi-
schen Pressewesens zu begegnen. Sie waren Desiderat des umtriebigen Bischofs Josef
Kahn (1839–1915),301 der zahlreiche Sozialinitiativen einrichten ließ. So versuchte er
etwa, der kritischen Landbevölkerung durch die Förderung des bäuerlichen Genos-
senschaftswesens entgegenzukommen, beschäftigte sich mit der Arbeiterfrage und
sozialen Problemen wie Trunksucht, förderte christlich-soziale Verbände und Arbei-
tervereine sowie katholische Bildungseinrichtungen.302
Bischof Kahn musste seine Initiativen gegen heftigen medialen Gegenwind einer
stark antikirchlichen Presse durchsetzen, wie das etwa bei der Errichtung des Kna-
benseminars »Marianum« der Fall war. Kahns aus kirchlicher Sicht nachhaltigste
Initiative war der Aufbau eines katholischen Pressewesens, das eine Gegenstimme
zur liberalen und antiklerikalen Presselandschaft jener Zeit sein sollte. Er ließ 1891
den St.-Josef-Verein und das Verlagsunternehmen Carinthia, das Buchdruckerei,
Buchbinderei und Buchhandlung war, gründen. Zu den einflussreichsten Publikatio-
nen dieses Unternehmens sollte in den Folgejahrzehnten die Tageszeitung Kärntner
Tagblatt zählen.303
Der Versuch Kahns, mit der Nutzung der Pressefreiheit Errungenschaften des
politischen Gegners aufzugreifen, ist Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels, der die
Gesellschaft und mit ihr auch die Kirche erfasst hatte. Das Kirchenvolk forderte
mehr und mehr Mitbestimmung. Während Laienbewegungen sich allmählich zu
formieren begannen, blieb die Kirche in Kärnten jedoch stark klerikal dominiert.
Reformorientierte Stimmen aus dem Klerus, die den Status quo infrage stellten, hat-
ten kaum Machtchancen zur Durchsetzung ihrer Positionen. So musste etwa der
Pfarrer von Leifling/Libelice, Anton Vogrinec, die »Verbesserungsvorschläge« sei-
nes Buches Nostra maxima culpa zurücknehmen, nachdem es kurz nach Erscheinen
1904 auf den Index librorum prohibitorum gestellt worden war.304
Man hatte also nur sehr zögerlich erkannt, dass sich in diesen Jahrzehnten der all-
tägliche Kontakt der Menschen mit der katholischen Kirche nachhaltig veränderte.
300 Tropper, P. G.: Ordnung der Frömmigkeit (2011), 43 f.
301 Vgl. ausführlich zur Person Bischof Kahns Appenroth, A.: Bischof Kahn (1991) sowie Unterluggauer,
J.: Bischof »Deo Gratias« (1952).
302 Tropper, P. G.: Ordnung der Frömmigkeit (2011), 46–50 ; Tropper, P. G.: Bischof (1999), 141–145.
303 Appenroth, A.: Bischof Kahn (1991) ; Tropper, P. G.: Ordnung der Frömmigkeit (2011), 51.
304 Tropper, P. G.: Ordnung der Frömmigkeit (2011), 53 f.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353