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Kirche und Habitusentwicklung in
Kärnten124
des Königreiches der Serben, Kroaten und Slovenen sein.«331 Die vereinzelten mit
Kärnten sympathisierenden Geistlichen wurden hingegen massivem Druck von ju-
goslawischer Seite ausgesetzt.332
Auf der anderen, deutschnationalen Seite nahmen die Verhaftungswellen von
»südslawischen Agitatoren« im Mai desselben Jahres überaus große Ausmaße an,
unter 204 Inhaftierten waren auch zahlreiche Kärntner Geistliche. In weiterer Folge
kam es auf Initiative der Volkswehr, aber unter tatkräftiger Mitwirkung der einhei-
mischen Bevölkerung, zu Ausschreitungen gegenüber Geistlichen, zu Verwüstungen
von Kirchen, Plünderungen von Pfarrhöfen und zur Zerstörung bzw. »Veruneh-
rung« von Kirchengut – »eine in unseren Breiten bisher unbekannte Tatsache«333,
wie Peter G. Tropper dazu bemerkt. So berichtet der Pfarrer aus Pölling in einem
Schreiben an das Ordinariat, dass »[d]en Jesuiten in St. Andrä […] direkt auf der
Straße von [der] Volkswehr nachgeschossen«334 wurde. Ausführlich beschreibt der
Eberndorfer Propst Randl im Juni 1919 den Hass der Bevölkerung :
Besondere Wuth [!] zeigten die Räuber auf Gott geheiligte Gegenstände, Paramente und
Gefäße. […] Geraubt wurden, ich glaube 7 silberne vergoldete Reliquienkreuze samt Re-
liquien, drei Kelche, zwei davon ganz Silber und erst neu vergoldet. Aus denselben haben
die Bestien im Wirtshause getrunken und [sie] dann fortgetragen. […] Inzwischen überkam
diese verruchten Kirchenschänder öfters der Durst nach meinem Blute. Wo ist der Pfaffe
versteckt, wo ist der schwarze Hund, ich muß ihm den Kopf abschneiden, wir müssen ihm
Riemen vom Leibe ziehen, wir brauchen keine Pfaffen mehr, wir brauchen keine slovenišen
und keine deutschen Pfaffen.335
Die Situation spitzte sich derart zu, dass sich um manche Geistliche sogar Schläger-
trupps bildeten und es zu handfesten Auseinandersetzungen kam.336
Angesichts dieser Situation hatte Bischof Hefter vonseiten der Kirchenleitung
zweifellos eine schwierige Aufgabe zu meistern. Schlussendlich war die offizielle
Haltung der Diözese aber eine prokärntnerische. Intern bedeutete das für Hefter
allerdings, dass er für Disziplinierung sorgen musste, wusste er doch sehr wohl über
die projugoslawische Haltung einiger slowenischer Geistlicher Bescheid. So musste
er bspw. 1920 den Eberndorfer Propst und nunmehrigen Generalvikar für die be-
setzten Gebiete maßregeln, weil dieser vor der Volksabstimmung am 10. Oktober
331 Franz Krašna, zit. in Tropper, P. G.: Nationalitätenkonflikt (2002), 151.
332 Deuer, W.: Abwehrkampf und Volksabstimmung (1995), 86.
333 Tropper, P. G.: Nationalitätenkonflikt (2002), 17 ; Tropper, P. G.: Verleumdet ? (2005), 253.
334 Anton Hofstätter, zit. in Tropper, P. G.: Nationalitätenkonflikt (2002), 152.
335 Matthias Randl, zit. ebd., 154.
336 Tropper, P. G.: Verleumdet ? (2005), 255.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353