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127Das
Nationale Zeitalter
von Laien in der Kirche leitete den Aufbau der Katholischen Aktion ein, die auch
Hefter für die Diözese Gurk initiierte.348
Im Verlauf der Auseinandersetzungen des christlich-sozialen Lagers mit der So-
zialdemokratie wurde unter den österreichischen Bischöfen der Ruf nach einem au-
toritären System laut, das der unchristlichen und atheistischen Volkssouveränität ein
Ende bereiten solle. Besonders deutlich war dieser beim Linzer Bischof Gföllner zu
hören, der sich unter den österreichischen Bischöfen als stärkster Befürworter des
ständestaatlichen Systems, zugleich aber als massivster Kritiker des Nationalsozi-
alismus erweisen sollte.349 Bischof Hefter positionierte sich in dieser Frage jedoch
weit zögerlicher. Im Bewusstsein um die antiklerikale Stimmung in Kärnten und die
Stärke des Nationalsozialismus stand er vor einer schwierigen Ausgangslage, als das
Dollfuß-Schuschnigg-Regime an die Macht gelangte.
Die skizzierten Entwicklungslinien der Kärntner Kirche im Nationalen Zeitalter
sollten deutlich gemacht haben, in welcher Weise sich die habituell internalisierten
Erfahrungen der Kärntner Bevölkerung mit Kirche und Staat im Konfessionellen
Zeitalter nun durch die nationale und politische Polarisierung gefestigt haben. Die
»Kärntner Seele«, Habitus und Identität der Menschen, war um die nationale Kom-
ponente als wesentlicher Bestandteil angereichert worden. Die bipolare Struktur des
nationalistischen Denkens hatte die Kirche aufgrund der Bevölkerungsverhältnisse
in Kärnten in strukturelle Probleme gebracht. Latent oder offen antiklerikale Hal-
tungen waren bei einem Großteil der Bevölkerung bereits tief verankert. Die Ereig-
nisse rund um Abwehrkampf und Volksabstimmung hatten diese Haltungen vertieft,
die politische Lagerbildung der Ersten Republik verschärft. Der Minderheitenkon-
flikt steht somit keineswegs am Beginn des Sonderfalls Kärnten, schon gar nicht im
Hinblick auf die Rolle, die die katholische Kirche in diesem Sonderfall einnimmt.
Die hier vorgeschlagene Langfristperspektive suchte seine Ursprünge in den gesell-
schaftlichen Prozessen der vergangenen Jahrhunderte und endet nun am Vorabend
jener Epoche, deren barbarische Auswüchse die Menschen bis in die Gegenwart
immer noch erschüttern. Der Nationalsozialismus hatte in Kärnten bereits in den
1920er Jahren seine ersten Anhänger und Anhängerinnen gefunden. Sein Verbot in
der Zeit des sogenannten »Christlichen Ständestaats« von 1933/34 bis 1938 hatte
nirgendwo in Österreich und keineswegs in Kärnten zu seinem Niedergang geführt.
Im Gegenteil, das Erstarken des Nationalsozialismus scheint einen wesentlichen
Grund in der Ablehnung des autoritär-klerikalen Systems dieser Zeit zu haben. Viele
staatliche und kirchliche Repressionsmaßnahmen in dieser Epoche erinnern an jene
des Konfessionellen Absolutismus, der Widerstand der illegalen Nationalsozialisten
zeigt unwillkürliche Parallelen zu kryptoprotestantischen Verhaltensweisen des 17.
348 Ebd., 159 ; Tropper, P. G.: Ordnung der Frömmigkeit (2011), 62.
349 Fräss-Ehrfeld-Kromer, C.: Adam Hefter (1974), 157.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353