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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«132
lerschaft entstammte den ehemals deutschliberalen und deutschnationalen Parteien
und war von der kulturellen Überlegenheit des Deutschtums überzeugt. Die Groß-
deutschen sahen den Anschluss eines als nicht lebensfähig erachteten Österreich
als logische Konsequenz. Darüber hinaus waren Antisemitismus und, besonders in
Kärnten, Antiklerikalismus ideologische Hauptbestandteile dieser Partei, deren An-
hänger ähnlich wie jene des Landbundes nach und nach in den Sog des National-
sozialismus gelangten.14 Ursache dafür war der Generationenkonflikt, mit dem das
deutschnationale Lager in den 1930er Jahren zu kämpfen hatte. Während die Groß-
deutsche Partei vornehmlich von demokratisch gesinnten, großbürgerlichen »alten
Herren« getragen wurde, konnte die charismatische Anziehungskraft Adolf Hitlers
über die deutsche Grenze hinweg auch in Österreich eine fanatische Jugendbewe-
gung mit aggressivem Auftreten zu Terror und populistischen Massenveranstaltun-
gen mobilisieren. Schrittweise wurden also der Landbund und das Großdeutsche
Lager von den Nationalsozialisten einverleibt.15
Großdeutsche und Christlichsoziale konkurrierten vom Beginn der Ersten Re-
publik an um ihren Einfluss in den paramilitärischen Heimwehrverbänden. In den
Kärntner Verbänden, »die sich nur äußerlich in die christlich-sozial dominierte
Heimwehrfront einfügten und ihre völkisch-antiklerikale und antiösterreichische
Sonderpolitik weiterbetrieben«16, setzte sich dabei die antikirchliche Stoßrichtung
deutlich durch. So waren die Kärntner Einheiten nur zum Teil dabei, als die Heim-
wehren den Korneuburger Eid auf den Faschismus schworen, da man der nationalso-
zialistischen Prägung des Faschismus näher stand als jener der später den Ständestaat
tragenden Schule Othmar Spanns.17 Der Landbund begann im Kontext dieser inter-
nen Auseinandersetzungen Bauernwehren zu etablieren, die in den frühen 1930er
Jahren ebenfalls großteils zu Unterstützern des Nationalsozialismus wurden.18
Die nationalsozialistische Bewegung in Kärnten hatte sich unterdessen bereits sehr
früh zu formieren begonnen. Erste Ansätze zur Parteigründung erfolgten schon 1918
in Villach, dem frühen Zentrum der Bewegung in Kärnten. Hier kann der »völkisch-
soziale Verband Deutsche Einheit« als wichtige Vorfeldorganisation genannt werden.
Bei den ersten Nationalratswahlen im Februar 1919 kandidierte man als Deutsche na-
tionalsozialistische Arbeiterpartei. 1925 wurde mit dem »Vaterländischen Schutzbund«
die Kärntner Parallelorganisation der SA als »Schutz-« bzw. Schlägertrupp gegründet,
1930 gilt als (unsicheres) Jahr der ersten Aufstellung von SS-Standarten in Kärnten.19
14 Ebd., 101 f.
15 Hanisch, E.: Antiklerikalismus (1999), 14.
16 Perchinig, B.: Wir sind Kärntner (1989), 108.
17 Dazu Näheres in Kapitel 1.2.1.
18 Perchinig, B.: Wir sind Kärntner (1989), 108 f.
19 Burz, U.: Die nationalsozialistische Bewegung (1998), 76–80 und 89 f.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353