Seite - 137 - in Die Kirche und die »Kärntner Seele« - Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
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137Hinführung
Einer der Wortführer des Politischen Katholizismus war der Linzer Bischof Gföll-
ner, der die antinationalsozialistische Haltung der österreichischen Kirche stets be-
tonte.44 Auch wenn der einflussreiche Grazer Theologe Alois Hudal versuchte, Na-
tionalsozialismus und Christentum miteinander in Einklang zu bringen45 und auch
wenn das persönliche Verhältnis von Theodor Kardinal Innitzer zu Kurt Schuschnigg
sich zunehmend verschlechtert haben soll,46 rückten die Bischöfe »[v]on dieser prin-
zipiellen NS-Haltung […] bis zum März 1938 nicht ab !«47
Zentrales theologisches Konzept des ständestaatlichen Politischen Katholizismus
war die »Christkönigsideologie«, die Christus als Weltenherrscher über und gegen
jegliche demokratische Gesellschaftskonzeption stellte : Das Reich Gottes sollte im
kleinen Österreich verwirklicht werden, mit Leitfiguren aus dem Episkopat und Kle-
rus als Christi Stellvertreter.48
Gegner dieser Auffassung waren also zugleich Gegner Christi und wurden leicht-
fertig dämonisiert. So etwa die Sozialdemokraten, mit denen kirchliche Eliten die
Gefahr einer »Gewaltherrschaft des österreichischen Marxismus«49 verbanden. Aus
dieser realpolitisch überzogenen Angst sprach der Schock über die verlorengegan-
gene gesellschaftliche Stärke nach dem Untergang der Monarchie. Die damit ein-
hergehenden, oft persönlich verletzenden antiklerikalen Schmähungen vonseiten
der Sozialdemokratie und des Nationalsozialismus haben sicher auch die Kleriker
emotional nicht »kalt« gelassen. So wurde auch der Aufstand der Sozialdemokratie
im Februar 1934 vom Klerus mit der großen Angst verbunden, es komme zu einem
»Kirchen- und Klostersturm übelster Art«50.
In der Sehnsucht nach Harmonie seitens des Klerus und der christlich-sozialen
Eliten muss sicherlich der aufrichtige Wunsch, den unseligen Klassenkampf zu been-
den, anerkannt werden. Zugleich übersah man in propagandistischer Vereinfachung
aber die komplexen sozialgeschichtlichen Hintergründe dieser Konflikte und die ei-
gene Rolle darin : Diese seien von außen provoziert und die Schuldigen waren auch
dem Zeitgeist gemäß schnell gefunden – Juden, Marxisten und Liberale. »Nichts
wäre falscher, als in diesen Bildern bloße Manipulationen zu sehen, um das Kapital
aus der ökonomischen Krise zu retten und die Profitrate der Unternehmer zu si-
44 Liebmann, M.: Theodor Innitzer (1988), 37–43.
45 Hudal, A.: Die Grundlagen (1937) ; dazu Liebmann, M.: Theodor Innitzer (1988), 45–51.
46 Hanisch, E.: Der Politische Katholizismus (1988), 69.
47 Ebd., 59.
48 Ebd., 57 f.
49 Friedrich Gustav Kardinal Piffl, zit. ebd., 56.
50 Ebd., 56 f, hier 59. »Aus der Retrospektive gesehen : ärger konnte man die an die Wand gequetschte
und mit allen Mitteln ums Überleben bettelnde Sozialdemokratie nicht mißverstehen. Aber die aus-
geprägt abgeschottete Lagermentalität hatte bereits seit langem nur mehr verzerrte Bilder vom politi-
schen Gegner zugelassen.« Ebd.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353