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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«146
rende Landeshauptmann Ferdinand Kernmaier von Dollfuß abgesetzt – mit der Be-
gründung, er sei mit sozialdemokratischen Stimmen gewählt worden.95 Kernmaier
hatte zuvor noch die Kärntner Bevölkerung öffentlich für ihre »Besonnenheit, Dis-
ziplin und Ruhe«96 während dieser Tage gelobt. Ihm folgte zunächst provisorisch der
Christlichsoziale Sylvester Leer, bevor man sich im März 1934 auf den Heimwehr-
führer Ludwig Hülgerth einigte, der im Kärntner Abwehrkampf Befehlshaber der
Kärntner Truppen war.97 Die Partei der Christlichsozialen wurde in die Vaterländi-
sche Front integriert, der Landbund ging im Kärntner Bauernbund auf.98
Nach der Maiverfassung wurde in Kärnten am 1. November 1934 ein berufs-
ständisch gegliederter Landtag eingesetzt. Der Landtagspräsident Arnold Sucher
war zugleich Führer der Vaterländischen Front Kärnten, die im November 1933 ins
Leben gerufen worden war.99 Der Landtag bestand fortan aus berufsständisch be-
schickten Vertretern, die Religionsgemeinschaften entsandten drei Mitglieder. Der
Landtag hatte aber kaum Entscheidungsbefugnisse, seine Mitglieder wurden vom
Landeshauptmann aus den Vorschlägen der Vaterländischen Front und der Kultus-
gemeinschaften ernannt. Die mit dem neuen System gleichgeschaltete Landesverfas-
sung wurde am 14. Dezember 1934 im Landtag beschlossen.100
Die überaus hohen Mitgliederzahlen in der Vaterländischen Front resultieren aus
Gefolgschaftszwang für öffentliche Angestellte. Beamten und Beamtinnen, Lehrern
und Lehrerinnen wurden dienstrechtliche Konsequenzen angedroht, wenn sie die
Abzeichen der Vaterländischen Front nicht öffentlich trugen. Versuche, die kritisch
eingestellte Jugend über einschlägige Jugendvereinigungen zu erreichen, scheiter-
ten in Kärnten weitgehend, Schuschniggs »Ostmärkische Sturmscharen« waren nur
in einigen städtischen Zentren organisiert. Schuschnigg förderte auch eine mon-
archistische Bewegung, die in Kärnten naturgemäß schwach blieb, anders als bspw.
in Tirol,101 wo auch die (ansonsten tendenziell antiklerikalen) Heimwehren enger
mit den Christlichsozialen und dem politischen Katholizismus kooperierten102 als
in Kärnten. Hier war der populäre Abwehrkampfgeneral Hülgerth Anführer der fa-
schistischen, paramilitärischen Organisation, die in Kärnten auch wesentlich stärker
verankert war als andere Teilorganisationen der Vaterländischen Front.103
95 Valentin, H.: Kärnten (2011), 46.
96 Wadl, W./Ogris, A. (Hg.) : Das Jahr 1938 (1988), 108.
97 Rumpler, H.: Die nationale Frage (2005), 58 f.
98 Valentin, H.: Kärnten (2011), 50.
99 Ebd., 46.
100 Wadl, W./Ogris, A. (Hg.) : Das Jahr 1938 (1988), 109.
101 Ebd., 124 f.
102 Hanisch, E.: Der Politische Katholizismus (1988), 55.
103 Wadl, W./Ogris, A. (Hg.) : Das Jahr 1938 (1988), 124 f.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353