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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«156
Mit ganz besonderem Bedauern wurde in Erfahrung gebracht, dass Hochw. Pfarrämter
und Seelsorger politische Gegner bei Behörden wegen ihrer politischen Einstellung zur
Anzeige gebracht haben. Wie sehr ein solches Vorgehen gegen den Geist der Kirche ist,
lässt sich aus der Bestimmung des Can. 139 § 3 erschliessen, die Klerikern bei Strafverfah-
ren jede Intervention, selbst die eines Zeugen, verbietet. Die Folge solcher Anzeigen ist
die, dass politische Gegner in ihrem Seelsorger nicht mehr den unparteiischen Vertreter
Christi und Diener der katholischen Kirche sehen, sondern nur den Parteimann. Solche
Seelsorger tragen wenigstens eine schwere Mitverantwortung an der im Entstehen begrif-
fenen Abfallsbewegung. Die Hochw. Herren dürfen nicht glauben, dass ihre Anzeigen den
angezeigten Personen unbekannt bleiben, da es ja Pflicht der zuständigen Behörden ist, bei
jedem Strafverfahren nach dem Grundsatze : ›Audiatur et altera pars‹ vorzugehen. Wenn
somit Hochw. Seelsorger durch solche Anzeigen sich ihre Stellung in der Pfarre erschwe-
ren oder gar unmöglich machen, so werden sie die Konsequenzen selbst zu tragen haben
und eine dieser Konsequenzen müsste nach Umständen sogar die Einleitung des Amoti-
onsverfahrens sein, wenn der Fall des Can. 2147, § 2, gegeben ist.
Bei diesem Anlass muss auch der erst bei der jüngsten, auf politische Gründe sich beru-
fenden Abfallsbewegung aufgekommene Brauch reprobiert werden, dass nämlich die Na-
men der aus der Kirche Ausgetretenen öffentlich an der Kirchentüre angeschlagen werden.
Ein solches Vorgehen reizt die Opfer der Abfallsbewegung nur noch mehr und macht ihnen
die Rückkehr nur noch schwerer. Das Volk sieht in solchen Anschlägen nur zu leicht eine
politische Machenschaft. Ohne Ordinariatsbewilligung darf dies auf keinen Fall geschehen.
Alle Hochw. Pfarrämter haben bis zum 31. Juli l. J. einen kurzen Bericht über die Ab-
fallsbewegung in der eigenen Pfarre und über die wirklich erfolgten Abfälle im Wege des
zuständigen Dekanalamtes einzusenden. Solche Berichte sind bis auf Widerruf am Ende
eines jeden Monats zu erstatten.
Die Hochw. Herren Seelsorger werden dringend ersucht und ernstlich gemahnt, be-
sonders in dieser aufgeregten Zeit sich in der Öffentlichkeit nicht politisch zu exponieren,
sondern sie mögen sich bestreben, Allen, auch politischen Gegnern, Alles zu sein. Insbe-
sondere sind politische Angriffe, weil gegen den Geist der Kirche, zu vermeiden.
Das Fb. Ordinariat aber können und sollen die Hochw. Herren auch über Persönlich-
keiten, die Schwierigkeiten bereiten, aufklären ; es ist denn unter Umständen dem Fb. Or-
dinariate die Möglichkeit geboten, da und dort Einfluss zu nehmen und Weiterungen zu
verhindern. Eigenmächtiges Vorgehen in solch aufgeregten Zeiten ist doppelt und dreifach
schädlich.
Der Generalvikar :
Schmutzer.134
134 Fb. Gurker Ordinariat : Geheimerlass (10.07.1933). Diesem Geheimerlass folgte am 16. August des-
selben Jahres (also fünf Wochen später) ein Urgenzschreiben mit der neuerlichen Bekräftigung dieser
Aufforderung, da ihr offensichtlich nicht alle Pfarren bzw. Dekanate nachgekommen waren. Ein wei-
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353