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159Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
Im Lehrkörper arbeiten 3 Lehrpersonen sehr intensiv für die N.S.D.A.P. Herr Lehrer R.
wurde sogar 3 Tage lang verhaftet. Die Lehrpersonen ausser dem Herr [sic !] Schullei-
ter arbeiten sehr scharf gegen den aufblühenden Jungreichsbund, der der ›Hitlerjugend‹
das Wasser abgräbt. Diese Gegenarbeit geschieht ganz offiziell in den Schulklassen. Mit
Ruhe und Gelassenheit sahen Pfarrer und Kaplan dem Treiben zu und liessen sich gar-
nichts anmerken. Wie vorher wurde sehr darauf geachtet, dass das persönliche Verhältnis
zu den Lehrpersonen ein gutes bleibe. Wir liessen uns garnichts anmerken und arbeiteten
im Sinne der katholischen Aktion ruhig weiter. Oft schien eine politische Bemerkung in der
Schule und auch auf der Kanzel unumgänglich, doch ist es immer wieder gelungen, dies
zu vermeiden. Seit der Amtstätigkeit des Gefertigten ist in der 3 000 Seelen starken Pfarre
Arnoldstein nur ein einziger Abfall zu verzeichnen : Frau Lehrerin P., die dem Tannenberg-
bund angehört, und daher konfessionslos werden musste. […]
Sonst ist Gott sei Dank in der politisch sehr urgierten Pfarrgemeinde Arnoldstein kei-
nerlei Abfallsbewegung zu merken. Die Pfarrgeistlichkeit enthält sich jeder politischen Tä-
tigkeit und geht auch nicht zu christl.sozialen Versammlungen.145
Ideologische Gräben in der Zeit des Ständestaates wurden besonders in den zahl-
reichen Vereinen und zum Teil paramilitärischen Verbänden gefestigt. Vonseiten
der Kirche hatte man bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts sogenannte Stan-
desbündnisse146 der Katholischen Aktion gefördert, darunter auch den im zitierten
Brief genannten Jungreichsbund147. Vonseiten der autoritären Regierung versuchte
das Dollfuß-Schuschnigg-Regime mit der Gründung der Vaterländischen Front und
der paramilitärischen Ostmärkischen Sturmscharen den faschistischen Zeitgeist zu
imitieren. Ein offenes Naheverhältnis der Kleriker zu diesen Vereinigungen wäre ein
deutliches politisches Signal, das man kirchlicherseits zu vermeiden suchte, wie auch
folgende Beteuerung aus der Pfarre Bleiberg verdeutlicht :
Die politischen Gegensätze sind zwar auch hier vorhanden, doch bemüht man sich auf
jeder Seite, sie überhaupt nicht zur Sprache zu bringen, um den Frieden zu wahren. Der
gefertigte Provisor nahm auch an keinerlei politischen Versammlung teil und hielt sich so-
wohl von der Versammlung der ›Vaterländischen Front‹ wie auch der ›Sturmscharen‹ fern.
Dadurch festigt er in der Bevölkerung die Überzeugung, daß es ihm um nichts anderes als
um das religiöse Leben der Pfarrangehörigen zu tun ist. Man betrachtet daher auch die
145 Bayer, J.: Apostasiebewegung Pfarre Arnoldstein (25.07.1933).
146 Standesbündnisse sollten »Personen gleichen Standes« – gemeint sind Mütter, Väter, junge Frauen
und junge Männer – zur Förderung christlicher Gesinnung, d. h. einerseits spiritueller und karitativer,
gewiss aber auch gesellschaftspolitischer Art, in Vereinen organisieren. Dazu ausführlicher Tropper,
P. G.: Ordnung der Frömmigkeit (2011), 152–162.
147 Die genaue Bezeichnung lautet »Reichsbund der katholischen deutschen Jugend Österreichs«. Dazu
genauer ebd., 166–169.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353