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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«160
Gründung des Katholischen Burschenbundes hier nicht mit feindlichen Augen, da man
weiß, daß es sich nicht um eine politische[,] sondern um eine religiöse Bewegung handelt.
Es ist zu hoffen, daß dieser Friede auch weiterhin andauern werde.148
Da die katholische Kirche im Ständestaat eine wesentliche Stütze des Systems war,
führte die Forderung nach konsequenter Distanzierung des Klerus von den para-
militärischen Verbänden oftmals zu Unklarheiten, wie folgende Schilderung eines
Vereinnahmungsversuches des Stadtpfarrers von Spittal durch die Ostmärkischen
Sturmscharen zeigt :
Der Führer der Kärntn. Sturmtruppen war beim Gefertigten mit der Bitte, diese Truppen
zu unterstützen u. berief sich auf Cardinal Innitzer u. Minister Schuschnigg. Gefertigter
gab zur Antwort, daß der Clerus ohne oberkirchliche Weisungen nichts unternehmen darf.
Diese Sturmscharen sind freche Draufgänger u. bei der kleinsten Ursache hauen sie mit
den Gummiknütteln drein u. haben dadurch in Greifenburg und Millstatt bei vielen Ka-
tholiken den Austritt aus der Kath. Kirche verursacht.149
Während hier deutlich wird, dass Schuschniggs Sturmscharen trotz ihrer systemstüt-
zenden Aufgaben nicht immer zum Wohl der Kirche agierten, ist gerade die Stadt-
pfarre Spittal einer der Hauptadressaten der zweiten Forderung des Geheimerlasses,
nämlich jene, die öffentliche Denunzierung von Apostaten und Apostatinnen durch
die Pfarrer zu unterlassen, um die Situation nicht noch stärker eskalieren zu lassen. Es
handelte sich dabei um eine Praxis, wie sie in Spittal offenbar seit längerem üblich war :
»Zum letzten Geheimerlaße wird bemerkt, daß schon seit längeren Jahren in Spittal die aus
der Kath. Kirche Ausgetretenen auf einer Tafel innerhalb der Pfarrkirche namhaft gemacht
werden, wozu seinerzeit der Hochwürdigste Fürstbischof mündlich seine Zustimmung ge-
geben hat.«150
In diesem Schreiben wird ebenso wie im Geheimerlass selbst deutlich, dass das Or-
dinariat keine rechte Kontrolle über gewisse sich verselbständigende Praktiken in
den einzelnen Pfarren hatte. Die Kritik, die im Schreiben des Spittaler Stadtpfarrers
durchklingt, lässt trotz autoritärem Tonfall auf eine gewisse fehlende Autorität der
»Zentrale« schließen. Der selbstbewusste Pfarrer setzt mit seiner Kritik noch nach :
»Dieser Geheimerlaß hätte den Dechanten mit dem Bemerken übermittelt werden
sollen, daß derselbe jenen Priestern, die Anhänger der Nationalsozialisten sind, nicht
148 Rausch, J.: Abfallsbewegung Pfarre Bleiberg (20.08.1933).
149 Habernig, J.: Abfallsbewegung Stadtpfarre Spittal (14.06.1934).
150 Habernig, J.: Geheimerlaß Dekanalamt Spittal (17.07.1933).
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353