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161Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
eingehändigt werden soll. Im Dekanate Spittal ist kein Priester Nationalsocialist.«151
Der letzte Satz des Schreibens illustriert also die potentielle Sympathie mit dem
Nationalsozialismus in den eigenen Reihen.152 Tropper verweist diesbezüglich auf
ein nationalsozialistisches Dossier, das für die Zeit vor dem »Anschluss« 22 Kärntner
Priester mit nationalsozialistischer Gesinnung nennt.153
Diese ersten Andeutungen zeigen bereits, dass die Antwortschriften auf den Ge-
heimerlass nicht frei von persönlichen Befindlichkeiten, Eitelkeiten und Kränkun-
gen sind. So geben diese Dokumente einen hervorragenden Einblick in das klerikale
Milieu jener Zeit, in persönliche Unzulänglichkeiten und alltägliche Ressentiments,
in die konkreten Konfliktfelder zwischen Kirche und Kirchenvolk. Sie lassen aber
auch durchwegs Rückschlüsse auf die – freilich durch die ideologisch gefärbte Brille
der jeweiligen Pfarrer beobachteten und subjektiv geschilderten – faktischen For-
mierungsprozesse des Nationalsozialismus in Kärnten zu. Zugleich zeigt sich jedoch,
dass die Kirchenaustrittsbewegung dieser Jahre keineswegs nur den Aufstieg der NS-
Bewegung im Hintergrund hatte, sondern viele Kärntner und Kärntnerinnen auch
zahlreiche andere Gründe fanden, um eine seit jeher lose Bindung an die Kirche nun
endgültig zu lösen. Schlussendlich kann die eingangs formulierte These, wonach
die Erfolglosigkeit des klerikal gestützten Ständestaates in Kärnten im Wesentlichen
mit der historisch bedingten gesellschaftlichen Schwäche der katholischen Kirche
in diesem Bundesland in Zusammenhang zu bringen ist, weiter unterstützt werden.
Dazu soll im Folgenden das gesichtete Quellenmaterial in sechs Teilkapiteln ana-
lysiert werden ; zunächst wird die allgemeine Entwicklung der Kirchenaustrittsbewe-
gung im zeitlichen Verlauf in den Blick genommen (Kapitel 2.2). Bevor die Person
des Pfarrers und dessen Rolle in der Pfarrgemeinde näher betrachtet werden (Kapi-
tel 2.4), soll Kapitel 2.3 zeigen, wie sehr der Klerus als Vertreter des verhassten stän-
destaatlichen Systems wahrgenommen wurde. Ein weiterer Schritt führt zur Rolle
des Protestantismus und der evangelischen Geistlichen, die von den katholischen
Geistlichen oftmals nicht nur als Werber für ihre Konfession, sondern zugleich auch
als Propagandeure des Nationalsozialismus beschrieben werden (Kapitel 2.5). Dann
soll versucht werden, einige Aspekte der illegalen nationalsozialistischen Bewegung
aus dem Blickwinkel der gesichteten Dokumente nachzuzeichnen (Kapitel 2.6).
Schließlich soll die große Bandbreite von Austrittsgründen und weiteren Aspekten
abseits des Nationalsozialismus aufgezeigt werden (Kapitel 2.7). Ein Zwischenresü-
151 Ebd.
152 Manch süffisante Bemerkung wird wohl ebenfalls in diese Richtung gedeutet werden können, wie
die folgende des Pfarrers der Oberkärntner Pfarre Kolbnitz : »Hier ist von einer Abfallsbewegung
nichts zu merken. Selbst die verbissensten Nazi sind treue Kirchenbesucher […]. Bei einzelnen – auch
politisch ›Schwarzen‹ – bin ich froh, wenn ich sie auf dem Sterbebett noch frühzeitig bekomme.«
Mirbach, C.: Abfallbewegung Kolbnitz (17.03.1934).
153 Tropper, P. G. (Hg.) : Kirche im Gau (1995), 6.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353