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171Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
Ausführungen wird deutlich, welche »Interpretationen« der Weihnachtshirtenbrief
außerdem erfahren hat, beschwerte sich Hefter doch, »wie ungerecht es sei, von ei-
nem Haß der österreichischen Bischöfe gegen das deutsche Volk zu sprechen.«184 In
der Ablehnung des Nationalsozialismus im Hirtenbrief vermutete Hefter dann den
stärksten Grund für die Ausschreitungen.
Vielleicht hat das die größte Erregung hervorgerufen. Diese ist aber völlig unbegründet.
Das Hirtenschreiben legt dar, daß sich im religiösen Gedankenkreis des Nationalsozia-
lismus noch manches findet, was berechtigte Sorge erweckt. Es muß aber ausdrücklich
festgestellt werden, daß nicht vom staatspolitischen Nationalsozialismus geredet wird, sondern
von seinem religiösen Gedankenkreis, und weiters heißt es im Hirtenschreiben ausdrücklich :
›Wir wissen sehr wohl, daß nicht alle Anhänger des Nationalsozialismus seine religiösen
Irrtümer teilen.‹ Man sieht also, daß der Hirtenbrief auf religiösem Boden sich bewegt
und auch da Gerechtigkeit walten läßt. Das Ziel ist nicht, wie mancher zu behaupten sich
erkühnt, Unfrieden zu stiften, sondern das Ziel ist, Klärung herbeizuführen.185
Hefter ging nochmals auf die im Hirtenbrief ausformulierten vier Grundwahrheiten
ein, die dem nationalsozialistischen Gedankengut gegenübergestellt wurden, und
griff dabei besonders die dritte heraus.
Sehr viel Aufregung scheint die dritte Grundwahrheit verursacht zu haben : ›Nationalität
und Staat sind verschieden und der Staat ist über der Nation.‹ Ich kann hier nicht eine
lange philosophisch-soziologische Studie über dieses Thema vortragen ; ich will nur zur
praktischen Erklärung hinweisen auf die Schweiz, wo drei Nationalitäten einen Staat bil-
den und wo es ganz sichtbar zutage tritt, daß Nationalität und Staat verschieden sind und
der Staat über der Nation steht. Ich weise noch hin auf das alte Österreich und ich weise
hin auf unser Heimatland Kärnten, wo zwei Nationalitäten leben, die der Staatsgedanke,
der Heimatgedanke miteinander verbindet.186
Der Kärntner Bischof wusste natürlich, dass die Frage des »Anschlusses« unmit-
telbar mit diesem Thema zusammenhing und bemühte sich um Rechtfertigung der
kirchlichen Position durch den Verweis auf realpolitische Zwänge.
werden.‹ Es ist also auch hierin für jeden, der in reiner Absicht den Hirtenbrief liest, kein Grund zu
irgendeiner Erregung vorhanden.« Hefter, A.: Hirtenworte (1933), 2.
184 Ebd.
185 Ebd., H. i. O.
186 Ebd.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353