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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«172
Der Hauptgrund der Erregung über diesen Punkt dürfte wohl der sein, daß man glaubt,
die katholische Kirche habe damit prinzipiell Stellung zum Anschlußgedanken genommen.
Das ist aber in der Tat nicht der Fall. Die Kirche stellt sich auf den Boden der Wirklichkeit.
Jeder Mensch in Österreich weiß, daß der Anschluß gegenwärtig infolge der Friedensver-
träge und infolge der außenpolitischen Lage eine Unmöglichkeit ist, und das weiß auch die
katholische Kirche. Aus dieser nun einmal feststehenden Tatsache folgert nun die Kirche,
daß man alles daransetzen muß, daß es mit diesem tatsächlich selbständigen österreichi-
schen Staat aufwärtsgehe zum allgemeinen Besten, und sie fordert die Katholiken auf, an
dieser Festigung unseres Staatswesens mitzuarbeiten zum Glück für alle. Was einmal sein
wird, wenn die Fesseln der Friedensverträge fallen, das ist dann Sache des österreichischen
Volkes. Also ist auch hier kein Grund zur Aufregung.187
Dann kam Hefter auf die drohenden Massenaustritte zu sprechen, die er natürlich
scharf verurteilte :
Wenn aber dann im Zusammenhang mit dem Hirtenschreiben von der beabsichtigen In-
szenierung einer Abfallsbewegung gesprochen wird, dann muß ich als Bischof ein ernstes,
mahnendes Wort dazu sagen. Was wäre das für ein Kind, das auf eine wohlgemeinte, wenn
auch ernste Mahnung des Vaters der Familie den Rücken kehrt ? Unsere heilige katholische
Kirche ist eine große Familie ; ihr unsichtbares Oberhaupt, ihr Familienvater ist unser Herr
und Heiland Jesus Christus. Wer dieser Familie den Rücken kehrt, der tut es auf seine
eigenen Gefahr, er würfelt um sein ewiges Schicksal !
Gar mancher, der in Zeiten der Erregung von anderen zum Abfall von der Kirche sich
verleiten ließ, hat dies in seinem späteren Leben oft furchtbar bereut, aber viele haben trotz
dieser Reue nicht mehr die Kraft gefunden, heimzukommen, und gar mancher hat an sich
die Wahrheit des Sprichwortes erfahren : ›Vorher getan, nachher bedacht, hat manchem
schon groß’ Leid gebracht !‹ Wir aber, meine lieben Gläubigen – und ich wende mich hier
auch an das ganze katholische Kärntnervolk –, wir wollen festhalten in Treue an unserer
heiligen katholischen Kirche […] ! ›Herr, festige und stärke und breite aus Deine Kirche !‹
Wir sehen an ihr überall die Erfüllung des Wortes des Herrn : ›Die Pforten der Hölle wer-
den sie nicht überwältigen !‹188
Fast prophetisch verweist Hefter in diesem Zusammenhang auf die Verfolgungsge-
schichte der Kirche – bemerkenswert, angesichts der klaren Machtposition, in der
man sich 1933/34 befand. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass der Bischof den Zeit-
geist sehr realistisch einschätzte und die politischen Verhältnisse – und mit ihnen die
Position der Kirche – an der Kippe sah :
187 Ebd.
188 Ebd., 3, H. i. O.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353