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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«174
gab gegen die Angreifer drei Schüsse ab, durch die zwei Demonstranten getötet und einer
verletzt wurden.192
Damit bestätigt sich zunächst der vom Gurker Ordinariat geäußerte Verdacht, dass
die Verlesung des Weihnachtshirtenbriefes als eine Art »Brandbeschleuniger« wir-
ken könnte. Vonseiten der politischen, mehrheitlich nationalsozialistischen Op-
position wurden alle Gelegenheiten zur antikirchlichen Mobilisierung der Massen
genutzt. Der geschilderte Zwischenfall in Klagenfurt hatte weitere antiklerikale
Kundgebungen zur Folge, die bis in die Pfarre Ferlach reichten, wo ein Todesopfer
bestattet wurde :
Samstag den 13. Jänner fand das Begräbnis der beiden Arbeitsdienstfreiwilligen statt, die
als Opfer der Demonstration gefallen sind. […] Die Beisetzung Rabitschs193 fand nachmit-
tags auf dem Friedhof in Ferlach statt. Dabei kam es zu einer erregten Auseinandersetzung,
als die Abnahme einer Parteischleife von einem der Kränze verlangt wurde. Personen, die
sich einmengen wollten, wurden von der Gendarmerie mühelos zurückgewiesen. Das Be-
gräbnis ging dann in Ruhe vor sich. Nach seiner Beendigung sammelten sich auf dem
Hauptplatz in Ferlach etwa zweihundert Personen an und versuchten zu demonstrieren.
Die Gendarmerie, die diesmal auch mit dem Gummiknüttel ausgerüstet war, schritt ein
und zerstreute die Demonstranten sofort. Seither herrscht in Ferlach vollkommene Ruhe.194
Der Artikel schildert zwar den Auslöser des neuerlichen Aufruhrs, verschweigt aber
die damit zusammenhängenden Massenaustrittsbekundungen, über die der Pfarrer
Edgar Geramb genauere Auskunft gibt. Zugleich geben seine Ausführungen Ein-
blick in die Lage eines Pfarrers, der zwischen die Fronten geraten war.
Das ergebenst gefertigte Pfarramt meldet […], dass am 13. Jänner 1934 nach dem Begräb-
nis des in Klagenfurt, gelegentlich eines kleinen Tumultes erschossenen Josef Rabitsch, 20
junge Burschen aus Ferlach ihren Austritt aus der katholischen Kirche gemeldet haben. […]
Während der Pfarrer in der Schule war, kam ein Mitglied der Leichenbestattungsfamilie
zweimal, angeblich im Auftrage des Gemeindeamtes sagen, der Pfarrer brauche überhaupt
nicht zum Begräbnis kommen. Dessen ungeachtet machte sich der Gefertigte zur bestimm-
ten Stunde auf den Weg zum Friedhof. Unterwegs kam die Menge entgegen, die von der
Gendarmerie zurückgetrieben wurde ; es waren cca. 100 bis 200 Menschen, hauptsächlich
Frauen, mit viel Geschrei, aber ohne den Pfarrer irgendwie zu behelligen. Nur ein Bursche
192 Ebd.
193 Josef Rabitsch wird im rechtsradikalen Onlinelexikon Metapedia als »deutscher Blutzeuge der natio-
nalsozialistischen Bewegung« bezeichnet. Art. »Rabitsch, Josef«, in : Metapedia [2014].
194 »Neues vom Tage«, in : Kärntner Tagblatt (16.01.1934), 4.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353