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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«182
maasnahme [sic !] ein Schub von Abfällen erfolgte, z. B. in Althofen nach der Aufstel-
lung der Putzschar.«222
Die ideologische Spaltung der Gesellschaft, an der man selbst (unbewusst) mit-
wirkte, nahm zeitweise skurrile Züge an. Oftmals war es gar nicht ein Konflikt mit
der Kirche bzw. ihren Geistlichen selbst, es reichte bald ein indirekter »Stellvertre-
ter-Konflikt« mit Gläubigen oder jedenfalls christlich-sozial eingestellten Personen :
Zu Allerheiligen 1935 kamen neue Lehrkräfte nach Grades ; sie nahmen Wohnung u. Kost
im Gasthaus K. Der Ortsschulratobmann (= gut christlich u. vaterländisch) ersuchte die
Lehrkräfte, nicht in diesem NSDAP-Gasthaus, sondern in einem anderen sich Wohnung u.
Kost zu suchen. Das war Grund zur Apostasie des Obgenannten [Wirtshaussohnes F. K.].223
Die Bezeichnung vaterländisch war Synonym für regierungstreu, denn »›Vaterland‹
und ›Schwarze‹ ist […] hier das Gleiche.«224 Ähnlich wie beim Wirtshaussohn in
Grades verhält es sich mit dem Kirchenaustritt der 53-jährigen A. K. aus St. Salvator.
Die Familie K. besorgte jahrelang Einkäufe bei einem Kaufmann, der gut christlich ist und
noch 1935 Obmann der hiesigen V.F. war. Da die Schulden der K.-Familie schon sehr gross
waren, drohte der Kaufmann mit Exsecution [sic !]. Frau K. gab die Antwort : ›Da werde ich
von der Kirche abfallen.‹ Die Bemühungen des Seelsorgers waren vergebens !225
Hier wie auch in weiteren Fällen wurden die Pfarrer regelrecht erpresst, wie etwa der
folgende Konfliktfall zeigt :
[Es] wird berichtet, daß […] der Sprengelführer der vaterländ. Front, an der hiesigen Säge
auch Gewerksbundführer, […] gedroht [hat], falls die hiesige Mesnerfamilie nicht entlassen
werde, die Gefahr des Abfalles vom Glauben bei einigen heimattreuen Familien gegeben
wäre, welche die Kirche keinesfalls mehr betreten, solange diese Familie in irgendeiner
Form mit der Kirche in Verbindung steht.226
Dieselbe Argumentationsbasis wurde auch im Konflikt mit sozialen Außenseitern
und Delinquenten, die sich als katholisch und »vaterländisch« gaben, herangezogen,
wie schließlich folgender Bericht zeigt :
222 Fiebiger, F.: Abfallbewegung Dekanat St. Veit (o. D. [nach Dezember 1933]).
223 Leitner, J.: Apostasien Pfarramt Grades (04.04.1936).
224 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (08.04.1936).
225 Leitner, J.: Apostasien Pfarramt Grades (04.04.1936).
226 Brunner, O.: Abfallsbewegung in Zweinitz (19.06.1937).
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353