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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«190
Die emotionale Belastung in solchen Situationen muss für den Kleriker sehr hoch
gewesen sein. »Es ist entsetzlich, bei so verhetzten Burschen Religionsunterricht
halten zu müssen«259, bemerkte er in einem späteren Bericht einmal.
Besonders die der Schule entwachsenen Jungmänner sind davon [von der Hetze, Anm.
d. Verf.] ergriffen. Die hiesigen Fortbildungsschüler kennen alle jene Schlager, welche
protestantischerseits gegen die katholische Kirche vorgebracht werden, während sie doch
in wichtigsten Dingen der kath. Religion furchtbar unwissend sind.260
Die Konflikte des Pfarrers beschränkten sich aber nicht nur auf die Auseinander-
setzung mit jugendlichen Männern, sondern ziehen sich durch alle Bevölkerungs-
schichten. Auch Frauen unterschiedlicher sozialer Milieus standen mit dem Pfarrer
auf Kriegsfuß. So ließ man ihm von einer wohlhabenden Besitzersgattin ausrichten,
sie »will – wie man sagt – nicht ruhen und rasten, bis alle ihre Dienstboten vom
katholischen Glauben abgefallen sind.«261 Einige Monate später schrieb der Pfarrer :
Eine ledige Frauensperson soll vor ihrem plötzlichen Tode öfters gesagt haben, sie würde
nie einen Priester gemocht haben. Ein Stier machte ihr schnell das Ende. Eine Bauersfrau
klagte, ihre Dienstboten seien gar nicht zum Kirchegehen zu bewegen. ›Ich kann mit mei-
ner freien Zeit machen was ich will‹, ist die Antwort.262
Selbst das Pfarrpersonal hatte ihm den Kampf angesagt : »Der Mesner S. a. D. soll
gesagt haben ›ich werde dem Pfarrer so zusetzen, daß er gerne geht‹, also quälen so-
viel es geht.«263 Schon der Vorgänger des genannten Messners trat in offenen Kon-
flikt mit dem Priester :
Der frühere Kirchenkämmerer H. L., welcher auch bei der letzten Neubesetzung der
Pfarre Altenmarkt eine merkwürdige Rolle spielte, und nun inzwischen zu einem festen
Nationalsozialisten herangewachsen ist, hat offen ausgesprochen, daß er vom Glauben ab-
fallen werde. ›Aber nicht er allein, sondern auch mehrere andern.‹264
259 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (08.02.1937).
260 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (01.01.1935).
261 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (05.02.1935).
262 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (06.11.1935).
263 Ebd.
264 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (04.01.1934). Auch aus anderen Berichten erfahren
wir von Personen, die trotz ihres Engagements in der Pfarre apostasierten, wie bspw. der Austritt
des Organisten der Pfarre St. Michael bei Wolfsberg zeigt. »Letzter Grund der Apostasie aber ist
grenzenloser geistiger Hochmut des Herrn A. S., ehemals Organist in Aichberg. Bei Vorstellungen u.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353