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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«192
der Priester auf die Vorgänge in ihren Pfarren in vielen Fällen von nur beschränk-
tem katechetischen Geschick geprägt. Man wusste sich eben gemäß den damaligen
katechetischen Standards und der allgemein, besonders aber kirchlich verbreiteten
Droh- und Beschämungsrhetorik nicht anders zu helfen, als über die Kanzelpredigt
dem Kirchenvolk ins Gewissen zu reden. Berichte wie der folgende illustrieren dies :
»In den Predigten wird ab und zu auf die schwere Sünde des Abfalles und Folgen hingewie-
sen, es wird auch bedeutet, dass die Abgefallenen als Christen in der Regel an und für sich
nicht viel wert waren, also der Kirche damit kein Schaden erwächst.«268
Das hier genannte Motiv, wonach die Austretenden ohnehin keinen Nutzen für die
Kirche gehabt hätten, begegnet (wohl als Beschwichtigungsstrategie) übrigens öf-
ters. »Ein nicht bloß dürrer, sondern offensichtlich schon längst verfaulter Ast der
Kirche«269, heißt es einmal über eine apostasierte Frau. Wer es ernst mit der Religion
meine, könne ohnehin nicht austreten.
Es ist strenge Pflicht der Seelsorge, die Katholiken der Pfarre mit allem Nachdruck darauf
aufmerksam zu machen, daß katholischen Christen die Teilnahmen an den religiösen Ver-
richtungen Andersgläubiger in den allermeisten Fällen gemäß Bestimmungen des kirchli-
chen Gesetzbuches streng verboten ist, und daher vor dieser Glaubensgefahr eindringlich
zu warnen.
Noch nie ist ein guter [H. i. O.] Katholik, der es mit der Erfüllung der Christenpflichten
immer ernst genommen hat, von der Kirche Christi abgefallen. Möge kein Katholik der
hiesigen Pfarre sich als dürrer Ast erweisen !
Wachet daher und betet, daß ihr nicht in Versuchung fallet !270
Der widerstandserprobte Kärntner Habitus versuchte sich seit dem Vorabend der
Reformation den beharrlichen Grundelementen katholischer Katechetik – Schuld,
Sünde und Bußbedürftigkeit – zu entziehen. Die Beichte als kirchliche Spielart
staatlich-gerichtlicher Verhörtechnik wurde als zentraler Ausdruck dieser Bedrü-
ckungs- und Beschämungserfahrung wahrgenommen. Entsprechend spielte diese in
den Argumenten der Apostaten und Apostatinnen eine wichtige Rolle : »Von den
gemachten Versuchen, Leute zurückzugewinnen, ist bisher so gut wie keiner gelun-
gen, denn die allermeisten Gründe lauten : Ich brauche nun nicht mehr zu beichten u.
Gutes tun kann man überall.«271 Vor allem der sexualmoralische Aspekt der Beichte
268 Marašek, K.: Abfallsbewegung Pfarre Damtschach (ohne Datum).
269 Kienberger, J.: Apostasien Pfarramt Tultschnig (21.08.1933).
270 Sulzer, S.: Abfallsbewegung Pfarre St. Leonhard (24.07.1933).
271 Neuwirther, F.: Abfallsbewegung Dekanatsamt Friesach (12.04.1935).
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353