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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«194
in unseren Gegenden wie überhaupt im Gurktale nie recht ernst zu nehmen«280 ge-
wesen seien.
So attestierten die Geistlichen aber vor allem jenen, die aus der Kirche ausgetre-
ten sind, einen »[m]oralisch sehr üble[n] Ruf«281. Kirchenaustritt sei vielfach ein
Zei chen von »Hochmut u. der beugt sich ebensowenig wie Luzifer selber.«282 Der
Zusammenhang zwischen Kirchenferne und persönlichen Charakterdefiziten lag für
die Kleriker auf der Hand, wie am Beispiel der »im Konkubinat lebenden« 25-jäh-
rigen L. T. illustriert werden kann : »Wegen des Zusammenlebens mit dem Kom-
munisten hat sie nie die Kirche besucht […]. Persönlich dem Seelsorger gegenüber
sehr freundlich. – Beim Hausbesuch anläßlich der Missionserneuerung hat sie sich
versteckt.«283
Die Erwähnung eines devianten Lebenswandels der Ausgetretenen und die daraus
resultierende Aussichtslosigkeit auf eine Rückgewinnung diente oftmals, so möchte
man meinen, als »Entlastungsargument« für den Priester, wie an folgendem Beispiel
nachvollziehbar wird :
Dieser Mann ist dem Trunke ergeben […]. Von einer guten Eigenschaft kann man bei ihm
wohl nicht sprechen. Nach dieser Zeit kam er einmal zum Gefertigten und sagte er werde
am nächsten Tage, einem Feiertage, in aller Früh kommen und werde beichten. Der Ge-
fertigte war froh, dass er nicht kam, denn eine Besserung könnte man bei einem solchen
Menschen wohl nicht erwarten.284
Die Zuschreibung von Grobschlächtigkeit, Charakterlosigkeit und Brutalität, wie
man sie bspw. dem 26-jährigen K. S. nachsagte – ein »Wöllersdorfsträfling u. äu-
ßerst verwegen, dem man in der Öffentlichkeit einen zwar nicht streng bewiesenen
Mord an seinem Ziehvater zuschreibt ; auch vom Militär wegen Umtrieben entlas-
sen worden«285 –, war dabei keineswegs auf nationalsozialistische Austrittswillige be-
schränkt. So sei bspw. der 28-jährige A. W. »ein unqualifizierbarer Kommunist, grob
u. sine fide«286.
Vielfach waren es aber schlicht und einfach persönliche Kränkungen des Pfarrers,
die als Ursache abschätziger Urteile über einzelne Pfarrmitglieder – oftmals zwi-
schen den Zeilen – herauszulesen sind.
280 Thaller, M.: Apostasien Pfarramt Gunzenberg (07.08.1936).
281 Pucher, O.: Apostasieausweis Pfarre Lieseregg (05.01.1935).
282 Neuwirther, F.: Apostasien Dekanat Friesach (06.01.193[5]).
283 Seirer, F.: Apostasie-Ausweis Pfarre Treffling (03.02.1934).
284 Sturm, A.: Abfallsbewegung Pfarramt Stein (24.07.1933).
285 Neuwirther, F.: Abfallsbewegung Dekanatsamt Friesach (12.04.1935).
286 Neuwirther, F.: Abfallsanzeige über den Monat August 1934, Dekanat Friesach (10.09.1934).
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353