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201Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
es häufig – das ist auch aus anderen Studien gut belegt – Lehrer und Lehrerinnen,
die sich als Trägergruppe der deutschnationalen Ideen den protestantischen Missi-
onsbemühungen anschlossen.
Der protestant. Pastor samt Frau und der protest. Oberlehrer gebärdeten sich eine Zeitlang
als berufene Führer der Hitlerbewegung und haben sich bis zur Internierung des Oberleh-
rers sehr weit vorgewagt : das hat die Katholiken zieml. stark abgeschreckt !316
Immer wieder waren es übrigens auch Lehrerinnen, die der großteils ländlichen Be-
völkerung den Zusammenhang von protestantischen und antiklerikalen Inhalten mit
der deutschnationalen bzw. nationalsozialistischen Ideologie erfolgreich vermitteln
konnten.
Da soll auch beim vlg. R. an der Gurktalerstraße eine protestantische Propagandaversamm-
lung stattgefunden haben, bei der der zuständige Pfarrer anwesend war. Es war wohl zu
ahnen, daß die jetzigen Besitzer, fanatische Protestanten, in ihrem Sinne tätig sein würden.
Hat doch die Frau des Hausers dort in Sirnitz als protestantische Lehrerin den Gottes-
dienst geleitet. Bei unseren unbelehrbaren und unbekehrbaren Nationalsozialisten findet
eine intensive Beeinflussung von dieser Seite einen aufnahmsfähigen Boden.317
An diesem Beispiel wird ein weiteres, räumliches Merkmal dieser Bewegungen sicht-
bar : Vielfach diente ein örtliches Wirts- oder Bauernhaus als Versammlungsstätte
und Ort der Bewusstseinsbildung. Die Rolle solcher Lokale ist einerseits der feh-
lenden kirchlichen Infrastruktur der evangelischen Kirche in Kärnten geschuldet,
andererseits aber auch Ausdruck eines durchaus – modern gesprochen – »milieusen-
siblen« Vorgehens seitens der sozialen Trägerschaft des Protestantismus. So wurden
in Friesach »protestant. Gottesdienste in einem hiesigen Gasthause«318 abgehalten.
Auch in Grades und in Metnitz galt das Wirtshaus als »Nazi-Zentrale« :
Nun fand am 28. Mai l. J. in Grades im Gasthause R. eine Sitzung statt (spät am Abend),
welcher der protestantische Pastor von St. Veit a. d. Glan präsidierte. Er munterte die
Anwesenden auf zum Uebertritt zum Protestantismus, sagte auch, wenn sich wenigstens
30 melden, dann käme er öfters. Vor dem Gendarmerieinspektor rechtfertigte er sich mit
der Behauptung, er sei von den Feistritzern gerufen worden. Auffallend, dass die Sitzung
gerade in der Nazi-Zentrale (Gasthaus R.) stattfand, und auch, dass fast alle Teilnehmer
(ca. 20) bekannte Nati [sic !] von Grades, Feistritz und Metnitz waren.
316 Kleber, K.: [Abfallsbewegung] Pfarre Fresach (20.08.1933).
317 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (04.07.1937).
318 Neuwirther, F.: Abfallsbewegung Dekanatsamt Friesach (05.05.1934).
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353