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209Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
wechslung vor, indem die Austrittserklärung statt der Austrittsbescheinigung übersendet
würde [sic !]. Festzustellen ist :
1. Nachdem es bereits vorgerichtete Erklärungen sind, ist bewiesen, dass es sich um eine
regelrechte Propaganda, nicht aber um freiwillige Austritte handelt.
2. Dasselbe besagt auch der letzte Satz : Die Kinder, die …… Konfession‹
3. Nachdem der Schreiber der Personalien ein anderer ist, als der Fertiger der Austrittser-
klärung, ist wieder bewiesen, dass es sich um einen Propagandisten handelt.
4. Sicher hat auch das ›sofort‹ auf der Seite der Erledigung resp. Vormerkung seine eigene
Bedeutung ! Es erregt den Verdacht, dass seitens der B.H. mit der Sache eifrigst mitgewirkt
wird, denn der einzufordernde 1 S. als Taxe setzt bereits eine Tatsache voraus, die eigentlich
noch nicht feststeht, da der Anmeldende sich die Sache ja doch noch überlegen könnte !
Der B.H. in St. Veit ist wohl nicht zu trauen !354
Jedenfalls aber gingen die Austrittsagitatoren und -agitatorinnen systematisch vor,
gelegentlich scheint es zu regelrechten »Wettkämpfen« gekommen zu sein, in denen
man sich mit der Zahl an »erfolgreichen«, ausgefüllten Formularen maß.
Es handelt sich hier um eine ganz infernale, systematische Propaganda, das konnte ich
unzweifelhaft erfahren. Es giengen [sic !] Agitatoren zum Abfalle herum, die die Aufgabe
hatten[,] je 50 zum Abfalle zu bringen, um Eindruck zu machen.355
Manchmal handelte es sich um regelrechte Racheakte, wie im Fall »A. M. Derselbe
wurde zu einer Strafe verurteilt im Betrage von 60 S. Seine Rache besteht nun darin,
wie er sich äußerte, 60 Abfälle in Scene zu setzen.«356
Wie auch aus anderen Quellen zu Genüge bekannt, bezog der Nationalsozialis-
mus seine Popularität aus einer Mobilisierung der Massen, allen voran der jungen
Männer und auch Frauen. Die Jugendlichkeit eines Großteils seiner Sympathisan-
ten und Sympathisantinnen ist schon aus den Geburtsdaten der Apostasie-Auflis-
tungen, die den Berichten der Pfarrer häufig beigelegt sind, zu entnehmen. Häufig
wurden Kirchenfeindlichkeit und die Faszination des Nationalsozialismus bereits
im Schulunterricht vermittelt. »Diese Gegenarbeit geschieht ganz offiziell in den
Schulklassen«357, schreibt der Pfarrer aus Arnoldstein. Aber auch das Vereinswesen
war eine geeignete Institution, politische Ideen zu diskutieren und weiterzutragen.
Es scheint etwas für Kärnten Typisches zu sein, dass es gerade Gesangsvereine sind,
die von den berichtenden Pfarrern als Ort der Propaganda beschrieben wurden.
354 Neuwirther, F.: Austrittspropaganda Dekanat Friesach (24.05.1937).
355 Neuwirther, F.: Abfalls-Ausweis pro Mai 1935 Dekanatsamt Friesach (09.06.1935).
356 Neuwirther, F.: Abfallsanzeige über den Monat August 1934, Dekanat Friesach (10.09.1934).
357 Bayer, J.: Apostasiebewegung Pfarre Arnoldstein (25.07.1933).
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353