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215Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
Winterzeit«391 berichtet, wenngleich ihr Erfolg nur an zwei angeführten Apostasien
erkennbar wurde. Jedoch war in der Folgezeit in der Nachbarspfarre Timenitz am
Magdalensberg ein weiterer Übertritt zu den Zeugen zu verzeichnen, wo der 46-jäh-
rige V. K. ausgetreten ist. »Grund seines Austrittes ist nicht ein politischer, sondern
sein ›fanatisches Bibelforschen‹ wie er selber gesteht. Und so will er zu den ›ernsten
Bibelforschern‹ übertreten.«392
Im Lavanttal hingegen waren nicht die Zeugen Jehovas die vorherrschende religi-
öse Alternative, sondern die Siebten-Tags-Adventisten. »Seit ungefähr einem Jahre
ist eine Person zu den Adventisten übergegangen und wirbt Anhänger für diese Sekte,
sie hat aber noch niemand auf ihre Seite gebracht und auch selbst den Austritt aus
der katholischen Kirche noch nicht gemeldet«393, weiß der Pfarrer von Kamp im La-
vanttal zu berichten. Aus der Pfarre Wolfsberg wurden 1934 zwei Übertritte zu den
Adventisten gemeldet,394 aus der angrenzenden Pfarre St. Michael wurde »mitgeteilt,
daß das Haus vlg. T. in Aichberg […] gänzlich dem Geiste der Sekte der Siebentags-
Adventisten verfallen ist.«395 Und im nördlich davon gelegenen St. Gertraud war die
46-jährige G. W. zu den Adventisten übergetreten, »da sie es nicht ertragen kann,
Gott schwer zu beleidigen, wegen der Sonntagsheiligung und nicht der Sabbatheili-
gung. (Ist zeitweise nicht ganz normal)«396.
Die Wahrnehmung religiöser Alternativangebote zeigt also, dass nicht allein der
Nationalsozialismus treibende Kraft für den Kirchenaustritt war. Die institutionelle
Entfremdung von der katholischen Kirche traf auch auf einige Personen zu, die ihre
religiösen Bedürfnisse in einer dieser Sondergemeinschaften, die bekanntlich durch
eine straffere Organisation und eine engere Mitgliederbindung charakterisiert sind,
zu befriedigen suchten.
Nach dieser Darstellung von durchaus unterschiedlichen Motiven des Kirchen-
austritts und mit der Beschreibung vielfältiger Aspekte der Beziehung von Kirche
und Kirchenvolk in der Ära des »Christlichen Ständestaates« können nun, in Form
eines Zwischenresümees, die wesentlichen Einsichten und Erkenntnisse rückbli-
ckend zusammengefasst werden.
391 Križaj, A.: Abfallsbewegung Pfarramt Poggersdorf (23.08.1933).
392 Dorn, B.: Apostasie-Ausweis Pfarre Timenitz (05.07.1934).
393 Schwabl, J.: Abfallsbewegung Pfarre Kamp (20.08.1933).
394 Streiner, B.: Abfallsbewegung Dekanat Wolfsberg (28.04.1935).
395 Wogatei, O.: Abfallsbericht Pfarre St. Michael (12.10.1935).
396 Szucher, J.: Apostasien Pfarre St. Gertraud (15.02.1936). Die strenge Auslegung des Sabbat-Gebots
gilt als eines der charakteristischen Merkmale der Siebten-Tags-Adventisten. Schmid, G./Schmid,
G. O.: Kirchen, Sekten, Religionen (2003), 165.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353