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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis224
sentlichen für das Motiv der »Bedrohung von außen«, das im kulturellen Gedächtnis
Kärntens einen so bedeutenden Platz einnimmt.
Interessant erscheint, dass die für die Ausformung des Kärntner Habitus so be-
deutsame Epoche des Konfessionellen Zeitalters in der Erinnerungskultur Kärntens
eine vergleichsweise marginale Rolle einnimmt. Dieser Umstand wird im vierten
Teilkapitel genauer untersucht. Eine der wenigen literarischen Aufarbeitungen jener
Epoche, Emilie Zennecks Roman Glaubensstreiter aus den Jahren 1931 bzw. 1946,
soll hier vorgestellt werden.
Die fünfte Erinnerungstradition ist jene an die Franzosenzeit, die in der domi-
nierenden offiziellen Kärntner Gedächtniskultur im Wesentlichen wiederum dem
Bedrohungsmotiv folgt. Bemerkenswert sind hier die durchaus differenzierenden
Aufarbeitungen des Franzosenbildes in Hans Sittenbergers Novelle Tagebuch der
Scho lastica Bergamin (1899) sowie in Dolores Viesèrs Roman Nachtquartier (1971).
Sie werfen die Frage auf, inwiefern das französische »Savoir-vivre« mit seinen libe-
ralen und antiklerikalen Grundhaltungen bei Teilen der Bevölkerung auf positive
Zustimmung stoßen konnte.
Die sechste Erinnerungstradition ist jene des auch heute noch unbestritten ein-
flussreichen Gedenkens an Abwehrkampf und Volksabstimmung. Angesichts der
überaus umfangreichen literarischen wie künstlerischen Zeugnisse zu diesen Schlüs-
selereignissen werden sich die Ausführungen im Hinblick auf die zentrale For-
schungsfrage exemplarisch auf Josef Friedrich Perkonig bzw. auf dessen Theater-
stück Heimsuchung (1920) beschränken.
Als letztes Teilkapitel sollen Leben und Werk des Kärntner Malers und Holz-
schnittkünstlers Switbert Lobisser in den Blick genommen werden. Sein Leben als
Benediktinermönch, der nach dem Klosteraustritt und dem Bruch mit Kirche und
Ständestaat zu einem gefeierten Nazikünstler wurde, steht paradigmatisch für die
Haltung vieler Kärntner und Kärntnerinnen jener Zeit. Seine Persönlichkeitszüge
stehen beispielhaft für das, was in diesem Buch als »Kärntner Seele« bzw. Kärntner
Habitus bezeichnet wird. Seine Kunst, die nach wie vor im öffentlichen wie privaten
Raum Kärntens zahlreich zu finden ist, erinnert an die Zwischenkriegszeit und den
Ständestaat, seine Autobiographie aus dem Jahre 1939 gibt Einblick in die Gemüts-
und Gefühlslage eines von den politischen Ereignissen dieser Zeit Ergriffenen.
Nach dem Horror von Weltkrieg und Holocaust hat man auch in Kärnten zu-
nächst die Erinnerungen daran zu verdrängen versucht.3 Heute arbeiten viele en-
gagierte Kärntner Historiker und Historikerinnen daran, die Erinnerungen an Ver-
3 Erwin Ringel relativierte diese Feststellung in seinen Ausführungen zur »Kärntner Seele« allerdings :
»In Kärnten aber ist es so, daß man teilweise […] den Nationalsozialismus gar nicht verdrängt, sondern
bis zum heutigen Tage sich forsch, frei und fröhlich unter dem Motto ›Wenn alle untreu werden, so
bleiben wir doch treu‹ zum Nationalsozialismus bekennt.« Ringel, E.: Kärntner Seele (2000), 24.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353