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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis234
wurde um 990 geboren und ist an einem 29. Juni unbekannten Jahres, um 1045,
vermutlich in dem von ihr gegründeten Nonnenkloster in Gurk, gestorben. Auch
ihre Verwandtschaftsverhältnisse lassen sich eher indirekt erschließen. Ihre Eltern
sind unbekannt, ein um 898 von Arnulf von Kärnten mit dem »Hof von Gurk« (Lie-
ding) belehnter Zwentibolch dürfte jener Vorfahre sein, auf den viele Besitzungen
zurückgehen. Hemma ehelichte Wilhelm, den Grafen von der Sann, dessen Förde-
rung durch Kaiser Konrad II. zu erheblichen Besitzerweiterungen führte.48 So zählte
Hemma gewiss zu den reichsten adeligen Frauen ihrer Zeit, was auch die Vorausset-
zung für die Stiftung des Klosters in Gurk war. Bereits ihre mutmaßliche Großmut-
ter Imma hatte versucht, in Lieding ein Kloster zu gründen, was aber am Widerstand
des Erzbischofs von Salzburg gescheitert war. Erst unter der Bedingung, dass das
Kloster unter die Obhut Salzburgs kommen sollte, konnte Hemma ihr Projekt um
1040 realisieren.
Mit der Aufhebung des Klosters und der Gründung des Bistums Gurk49 versuchten
die Gurker Bischöfe, sich im Bistumsstreit mit Salzburg auf Hemma rückzubesinnen.
Bischof Roman I. von Gurk (1131–1167) ließ um 1140 den Bau des Gurker Doms
beginnen – einer der bedeutendsten romanischen Kirchenbauten Österreichs – und
die bischöfliche Residenz in Straßburg errichten. Um die Loslösung vom alles dik-
tierenden Erzbistum zu forcieren, versuchten seine Nachfolger, die Erinnerung an
die Stifterin Hemma im kollektiven Gedächtnis der Gläubigen zu aktivieren und
damit die Bistumsgründung durch Salzburg zu verschleiern.50 1174 überstellte man
die Gebeine der Hemma aus der alten Klosterkirche in die Krypta des neu errich-
teten Doms und fälschte reihenweise Urkunden, die die Gründung des Bistums auf
die wohlhabende Gräfin zurückführen sollten. Die (ungeklärte) Abstammung Hem-
mas wurde mit dem heiliggesprochenen Kaiserpaar Heinrich II. und seiner Frau
Kunigunde in Verbindung gebracht und immer wieder auch ikonographisch verin-
nerlicht. Bald erzählte man sich Geschichten von Wunderheilungen in der Krypta,
nach und nach genossen diverse Reliquien Hemmas Verehrung beim Volk und Pil-
gerprozessionen führten gläubige Hilfesuchende nach Gurk. Bei einem (erfolglosen)
Heiligsprechungsverfahren im 15. Jahrhundert wurden über 90 Heilungs- und so-
gar Totenerweckungswunder geschildert, die der Anrufung Hemmas geschuldet sein
48 Der erste salische Kaiser Konrad II. stand in Konflikt mit dem Kärntner Herzog Adalbero von Ep-
penstein : Konrad unterstützte die Gegner Adalberos mit Gebietsschenkungen, um deren Einfluss zu
stärken und Adalbero zu schwächen. Unter den Begünstigten war vor allem Hemmas Mann, Graf
Wilhelm von der Sann und Friesach, der infolge dieses Konfliktes auch von Adalbero nach dessen
Absetzung als Herzog ermordet wurde. Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 134 f.
49 Vgl. Teil I Kapitel 1.2.
50 Tropper, C.: Von den Anfängen (2002), 42.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353