Seite - 236 - in Die Kirche und die »Kärntner Seele« - Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
Bild der Seite - 236 -
Text der Seite - 236 -
Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis236
angesichts der Bedrohung durch den Nationalsozialismus den Rücken zu stärken,
die Rom gegenüber den Ausschlag gab, ein jahrhundertelanges Ringen um die Ka-
nonisation der mittelalterlichen Gräfin zu einem positiven Ende zu bringen.55
Bereits im Mittelalter war der Heiligsprechungsprozess erfolglos initiiert wor-
den, wenngleich die Gründe für das Scheitern Ende des 15. Jahrhunderts nicht klar
sind. Schon 1287 war Hemma seliggesprochen worden. Eine Hemma-Messe und
ein Hemma-Offizium entstanden ebenso schon in dieser Zeit. Der Gurker Fürst-
bischof Ulrich Sonnenberger, ein Vertrauter Friedrichs III., ergriff um 1465 die
Initiative zum Heiligsprechungsprozess. Das kaiserliche Gesuch nach Rom wurde
von den Kärntner Landständen unterstützt. 1466 wurde vom Papst eine Kommis-
sion mit prominenten Mitgliedern der damaligen Kirchenwelt eingerichtet. Deren
Aufgabe war es, ein Prüfverfahren vor Ort durchzuführen, das von Delegierten mit
einem Aufruf unter der Kärntner Bevölkerung einherging, Zeugnis zu geben über
Wunder- und Gnadenerfahrungen in der Anrufung Hemmas. Die Sichtung verschie-
dener Urkunden und eine drei Tage lang dauernde Zeugenbefragung sowie ein Lo-
kalaugenschein in der Krypta zählten zu den Elementen des Verfahrens. Die Akten
wurden nach Rom geschickt, dort aber nicht weiterbearbeitet. Die Verhinderung
durch andere Angelegenheiten und der Tod einzelner mit dem Fall befasster Perso-
nen könnten Mitgründe dafür sein, dass der Prozess versandet ist und die Unterlagen
schlussendlich verloren gegangen sind.56
Weitere Interventionsversuche in Rom im 18. und 19. Jahrhundert blieben erfolg-
los, bis der Laibacher Bischof Anton Jeglič 1923 die Initiative ergriff. Brisanterweise
bezeichnete Jeglič in einem Brief an Bischof Hefter Hemma von Gurk als »einzige
Heilige slowenischer Abstammung«57. Der slowenische Bischof wollte Adam Hef-
ter um Unterstützung für diese Sache in Rom bitten. Hefter war sich allerdings
der heiklen Botschaft bewusst, die eine Heiligsprechung auf Laibacher Betreiben
für das nationale Empfinden in Kärnten unmittelbar nach Abwehrkampf und Volks-
abstimmung mit sich bringen würde und wurde selbst aktiv. Es sollte jedoch noch
sechs Jahre dauern, bis er den Redemptoristenpater Josef Löw mit der Angelegenheit
beauftragte. Löw hatte sich schon seit einigen Jahren mit der Stifterin auseinander-
gesetzt – 1924 waren die Redemptoristen nach Gurk gezogen, um dort eine theo-
logische Hauslehranstalt zu unterhalten. War die Zielsetzung hinter der Aktion in
erster Linie vom Willen zur Glaubenserneuerung in dem antiklerikal dominierten
Land getrieben, traten bald deutlich die politischen Konturen, die diese Unterneh-
mung erlangen würde, zum Vorschein. Das illustriert ein Memorandum des Gurker
Ordinariats aus dem Jahre 1930 : So sei die Heiligsprechung Hemmas »gerade in
55 Ebd., 211.
56 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 634.
57 Anton Jeglič, zit. in Rumpler, H.: Die Heiligerklärung (1988), 203.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353