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237Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
unseren Sturm- und Kampftagen doppelt wünschenswert«58, mit der religiösen solle
auch eine sittliche Erneuerung einhergehen.59
Im selben Jahr war in Rom jene Historische Sektion der Ritenkongregation ein-
gerichtet worden, die für ebensolche Fälle der Heiligsprechung historischer Per-
sonen nun die Wiederaufnahme des Heiligsprechungsprozesses ermöglichte. 1931
veröffentlichte Pater Löw das S.Hemma-Büchlein, das er, so der Untertitel, »Dem
christlichen Volke gewidmet« hatte.60 Seine Recherchearbeit wurde zunächst von
Dompropst Johannes Quitt maßgeblich unterstützt, bevor er eine Freistellung seines
Ordens für die Vorantreibung des Heiligsprechungsprozesses in Rom selbst erhielt.
Dort führte ihn der Weg zu Alois Hudal, der zu dieser Zeit noch Rektor des Kollegs
Santa Maria dell’Anima war.61
Die ersten Kontaktaufnahmen mit der Historischen Sektion verliefen aber ent-
täuschend, da man sich dort nicht sonderlich interessiert an der Heiligsprechung
»einer Deutschen« zeigte. So versuchte Löw sein Glück über ein Bittgesuch direkt
an den Papst, das 1933 bei einem Besuch der Bischöfe in Rom überreicht werden
sollte. »Insbesondere sollten sich auch einzelne Politiker und offiziell der österrei-
chische Bundespräsident und die österreichische Regierung für die Heiligsprechung
einsetzen.«62
Im Kontext der neuen politischen Situation des Ständestaates erwies sich diese
Verquickung für die Kirche Kärntens allerdings als suboptimal. »Hemma von Gurk
als Heilige eines katholisch-ständestaatlichen Österreich mußte die Kärntner Kir-
che in nicht geringe Verlegenheit bringen.«63 Hefter versuchte diesem Umstand mit
einer Doppelstrategie zu begegnen, in der er einerseits forderte, »die Sache nicht
als eine rein österreichische hinzustellen, sondern zu betonen, daß Hemma auch in
besonderer Weise für die Slowenen in Betracht kommt«64, andererseits aber den po-
litischen Vorteil einer Heiligsprechung, die »den Kampf um Glaube und Heimat«65
unterstützen würde, für Rom herausstrich.
Der Kanonisationsprozess in Rom wurde jedoch abermals verschleppt, weitere
Interventionen vonseiten der Kärntner Kirche waren notwendig. Mit der Zuspitzung
der politischen Situation in Österreich und der deutlich steigenden Popularität des
Nationalsozialismus baute man nun in der Folgezeit Rom gegenüber vor allem das
politische Argument aus. Eine Heiligsprechung würde in der Entscheidungssitua-
58 Gurker Ordinariat, zit. ebd., 204.
59 Ebd., 203 f.
60 Löw, J.: S. Hemma-Büchlein (1931).
61 Rumpler, H.: Die Heiligerklärung (1988), 204 f.
62 Ebd., 205 f., hier 206.
63 Ebd., 206 f.
64 Adam Hefter in einem Brief an Löw, zit. ebd., 207.
65 Adam Hefter, zit. ebd.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353