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245Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
ren verbündet. Wilhelm, der erstgeborene Sohn Hemmas, unterrichtet sie über die
Lehensvergabe :
›An fünfzig Männer hat der Herzog heute Grund vergeben. Und unter diesen ist kein ein-
ziger Deutscher, sondern lauter Slaven. Nicht unsere guten, braven, verläßlichen Windi-
schen, sondern ein seltsames Kriegsvolk : wilde, rauflustige Krainer, Kroaten, Mähren, die
von unseren Leuten gar nicht verstanden werden, wenn sie mit ihnen reden.‹101
Diese Passage liest sich fast so, als würde die Autorin hier der deutschnationalen
Siedlungspolitik der 1920er Jahre, in deren Rahmen »reichsdeutsche« Siedlerfami-
lien in Südkärnten angesiedelt worden waren,102 eine »Counter Story« entgegen-
setzen. Wenn die Deutung zutrifft, dass Adalbero von Eppenstein, wie später noch
zu zeigen sein wird, als Prototyp des nationalsozialistischen Populisten zu lesen ist,
drängt sich die antinationalsozialistische Spitze dieses Textabschnittes förmlich auf :
Die Gefahr der nationalsozialistischen Machtergreifung wird mit den traumatisie-
renden Ereignissen des Abwehrkampfes gegen die »bösen Slawen« in Verbindung
gebracht, die sich nun auf Kärntner Siedlungsgebiet ausbreiten und »unsere guten,
braven, verläßlichen Windischen« verdrängen.103
Viesèr bedient auch an anderer Stelle das Klischee von den barbarischen und gott-
losen Slawen, wenn sie einen Ritter von seiner Gefangenschaft beim mährischen
Fürsten Slawibor berichten lässt :
›Ich war in einem Turme eingesperrt‹, begann Herrand mit Überwindung ; ›zu essen be-
kam ich genug, wenn auch fast lauter verdorbenes Zeug. […] Doch oft, wenn Slawibor ein
Gelage hielt, dann – da wurde ich gebunden in die Halle hinaufgeführt. Dort saß er mit
seinen Gästen und seinen Weibern. Alle waren betrunken und schrien und fluchten. Dann
fingen sie an, mich zu verspotten – und –. […] Sie hielten mir einen Becher mit Wein vor
den Mund und sagten, ich sollte ihn auf das Wohl der alten Slawengötter leeren. […] Es war
ihnen ganz gleich, ob ich ein Christ und ein ehrlicher Ritter blieb, oder ob ich ihren Willen
tat. Sie hatten nur ihre Lust daran, mich zu peinigen ; […]‹.104
Hier schimmert deutlich das Thema »Versuchung« durch, das Viesèr in ihrem Ro-
man in so vielen Facetten abhandelt. Die erzählende Figur hält als deutscher Ritter
101 Viesèr, D.: Hemma von Gurk (1965), 280.
102 Burz, U.: Die nationalsozialistische Bewegung (1998), 52–55.
103 In diesem Zusammenhang ist allerdings auch die Feststellung Helga Abrets zu relativieren, dass man
in Viesèrs Roman »nicht eine Textstelle [finden könne], die, selbst aus dem Kontext gerissen, rassen-
ideologisch zu vereinnahmen wäre«. Abret, H.: Alternative (2006), 210.
104 Viesèr, D.: Hemma von Gurk (1965), 101 f.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353