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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis258
ganz verfehlt eingestellt, denn ich stelle die Hemma hin, als ob sie etwas für Kärnten getan
hätte. Der Erste, der aber jemals etwas für Kärnten getan hätte, sei der Führer gewesen. Ich
habe ja die Hemma so genau studiert und gewusst, was sie alles getan hat. Kirchen gebaut,
Spitäler gebaut. Das erste Spital auf deutschem Boden hat sie gebaut.145
Freilich wollten die Nationalsozialisten sich als jene Kraft präsentieren, die den sozi-
alen Missständen im Land ein Ende bereiteten. Zweifellos wird den neuen Machtha-
bern Viesèrs Hemma von Gurk zu katholisch gewesen sein bzw. zu wenig national. In
diesem Zusammenhang kann der Roman tatsächlich als »oppositionelle Literatur«146
eingeordnet werden. Die oft gelesene Behauptung, Viesèr sei die Aufnahme in die
Reichsschrifttumskammer verweigert worden (was sie trotz innerlicher Distanz zu
den Nazis gekränkt habe)147 oder gar mit einem Schreibverbot belegt worden,148
muss aber differenzierter behandelt werden. Den Nachforschungen von Uwe Baur
und Karin Gradwohl-Schlacher149 zufolge lässt sich nichts davon bestätigen. Ihnen
zufolge stellte die Kärntner Schriftstellerin im Februar 1940 einen Aufnahmean-
trag in die Reichsschrifttumskammer, den die Gauleitung der NSDAP mit der Stel-
lungnahme kommentierte, Viesèr sei »vor allem kirchlich stark gebunden, bemüh[e]
sich aber heute, das nationalsozialistische Ideengut zu erfassen«150. Die empfohlene
Bedenkfrist wurde vom Landesleiter der Reichsschrifttumskammer Kärnten, Emil
Lorenz, nicht in Anspruch genommen, er empfahl die Aufnahme Viesèrs als Vollmit-
glied, sei sie doch »mit einem national durchaus zuverlässigen Manne verheiratet«151.
Da Viesèr allerdings nach 1938 nichts mehr publiziert hatte – das könnte ideolo-
gische Gründe gehabt haben, aber genausogut mit der Bewirtschaftung des Hofes
während der Kriegszeit zusammenhängen –, war sie zwar Mitglied in der Reichs-
schrifttumskammer, aber vom Mitgliedsbeitrag befreit. »Hinweise auf einen R[eichs]
S[chrifttums]K[ammer]-Ausschluss W[ieser].s [sic !], wie von der Autorin in Inter-
views behauptet und in einigen Quellenwerken vermerkt, konnten nicht verifiziert
werden.«152 Allerdings wurde Hemma von Gurk vom Reichsüberwachungsamt (»Amt
Rosenberg«) tatsächlich als »negativ« bewertet, »was in der Folge vielleicht zu der
Verwechslung mit einem R[eichs]S[chrifttums]K[ammer]-Ausschluss führte, oder
145 Dolores Viesèr zit. in Welzig, E.: Leben und überleben (2006), 262.
146 Vgl. Abret, H.: Alternative (2006).
147 Welzig, E.: Leben und überleben (2006), 264.
148 Diese Behauptung dürfte das erste Mal in der Dissertation von Erika Klenk abgedruckt worden sein.
Klenk führt allerdings keine Quelle dafür an, an anderer Stelle berichtet sie jedoch von persönlichen
Gesprächen mit der Autorin. Klenk, E.: Dolores Viesèr (1949), 12.
149 Vgl. Baur, U./Gradwohl-Schlacher, K.: Literatur (2011).
150 Zit. ebd., 284.
151 Zit. ebd.
152 Ebd.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353