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Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
die R[eichs]S[chrifttums]K[ammer]-Befreiung, welche keinerlei Publikations-Ein-
schränkung nach sich zog, wurde im Nachhinein umgedeutet.«153 Laut der Autorin
selbst soll sie zu einem späteren Zeitpunkt ein Angebot, in die Partei aufgenommen
zu werden, abgelehnt haben.154
Gegen einen Ausschluss der Schriftstellerin aus der Reichsschrifttumskammer
spricht auch die Tatsache, dass Hemma von Gurk im Jahre 1943 neu aufgelegt wurde,
die 5.000 gedruckten Exemplare waren jedoch für den Export in die Schweiz vorge-
sehen. Viesèr ließ jedenfalls ihre schriftstellerische Arbeit bis zum Ende des Krieges
ruhen.155
Wie auch immer diese Streitfrage zu bewerten ist, es lässt sich doch einigermaßen
überzeugend postulieren, dass Viesèr als gläubige Katholikin in ihrem Roman einige
Gegenimpulse zum herrschenden Zeitgeist geboten hat, zugleich sich aber diesem
niemals ganz zu entziehen vermochte, wie an einigen Textpassagen gezeigt werden
konnte. Womöglich liegt hierin auch der Grund für die Unentschlossenheit der Na-
tionalsozialisten im Umgang mit Viesèr.
Dolores Viesèr verfasste nach dem Krieg noch mehrere historische Romane, die
religiöse oder kirchliche Fragestellungen streiften. Aelia. Eine Frau aus Rom aus dem
Jahr 1952 handelt von dem verwaisten römischen Geschwisterpaar Cassius Primus
und Cassius Aelia, das nach Noricum, also ins römerzeitliche Kärnten kommt und
dort das noch junge Christentum kennenlernt. Der Roman ist mitten in der Zeit
der Christenverfolgungen angesiedelt, ein Thema, das Viesèr stets begleitet hatte
und das sie hier in auffälligen »Parallelen zwischen Hitler und dem […] römischen
Despoten« verarbeitete.156
Während in Hemma und Aelia zwei Frauen und ihr Ringen mit dem Christentum
im Mittelpunkt stehen, behandelt der in der Franzosenzeit in Kärnten angesiedelte
Roman Das Nachtquartier 1971 eine Welt, »in der die meisten Menschen, obgleich
sie weiter die Kirche besuchen und die kirchlichen Feste feiern, bereits in großer
Gottesferne leben.«157 Er wird in Kapitel 2.5.3 genauer analysiert werden.
Viesèrs Romane wurden nach dem Krieg nur wenig wahrgenommen. Sie entspra-
chen nicht mehr dem politischen Ideal des Literaturbetriebes der 1960er und 1970er
Jahre, galten als verstaubt und konservativ und wurden »fast reflexartig mit dem in
Verruf geratenen Begriff der Heimatliteratur«158 in Verbindung gebracht. Auch für
Viesèr selbst war die Nachkriegsliteratur zu düster, ihr Ideal von Literatur lag dem
153 Ebd.
154 Welzig, E.: Leben und überleben (2006), 263 f.
155 Klenk, E.: Dolores Viesèr (1949), 12.
156 Abret, H.: Regionalgeschichte (2010), 636.
157 Ebd., 654.
158 Ebd., 654 f.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353