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Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
am Landtag der innerösterreichischen Länder in Marburg der »Türkenpfennig«
eingeführt, mit dem jeder Erwachsene ein Jahr lang wöchentlich besteuert wurde
(Vermögendere konnten freiwillig auch mehr geben). Damit verbunden war eine
Neuordnung des Heerwesens, allerdings ohne Wirkung – »die Türken überrumpel-
ten Kärnten, ohne auf Widerstand zu stoßen.«171 Burgen und Städte wurden meist
verschont, Belagerungstaktiken waren offenbar nicht vorgesehen. Selbst der 1469
von Friedrich III. eigens zur Türkenabwehr ins Leben gerufene Georgsritterorden
in Millstatt war angesichts der osmanischen Streifscharen machtlos. »Von einer akti-
ven Abwehr durch die Georgsritter war nicht die Rede ; man verschanzte sich hinter
Mauern und gab das offene Land den Türken preis.«172 Die mit wendigen Rossen
berittenen Osmanen hatten leichtes Spiel gegen die weitgehend wehrlose Landbe-
völkerung. Die Krummsäbel und Feuerpfeile, mit denen die »Renner und Brenner«
Bauernhäuser in Brand steckten und die Menschen am Land dahinrafften,173 brann-
ten sich auch ins kulturelle Gedächtnis der Kärntner Bevölkerung ein. Eng damit in
Zusammenhang steht die Erinnerung des bäuerlichen Aufbegehrens.
Die sozialen Unruhen, die im Gefolge der Türkeneinfälle von einer Heuschre-
ckenplage und, damit in Zusammenhang, einer Hungersnot verschärft wurden,
entzündeten sich an einem Streit über Kriegssteuern. Friedrich III. hatte den Sil-
bergehalt in den Münzen gesenkt, also eine Inflation herbeigeführt, worauf die
Grundherren von den Bauern höhere Abgaben forderten. »Das wolten die obgenan-
ten pawren nicht thwen«174. Unrest beurteilt die Weigerung der Bauern als Betrug,
da sich diese damit ungerechtfertigter Weise bereicherten, denn »zw den zeyten hat
nyemant gewin gehabt, dann die pawren. Da erkhen man pey dem, sy tragen nun
pesser klayder und trinkhen pessern wein, dan ire herren.«175
Als sich die Bauern weigerten, nahm der landesfürstliche Vizedom in Spittal ei-
nige widerspenstige von ihnen gefangen, woraufhin sich unter Peter Wunderlich ein
Bauernbund formierte. »Die puntpawren […] gienngen also mit werhaffter hannt
aus dem marckt Spittall und machten irren pundt inn kurtzen tagen gross und ye
lennger, ye grosser und weytter.«176 Der Zulauf war laut Unrest außerordentlich
groß und es kamen bald auch solche, die von der Münzregelung Friedrichs gar nicht
betroffen waren, und »derselb pundt wuechs in kuertz als ain klains wasser von ai-
nem grossen wolckenpruch«177.
171 Ebd., 598.
172 Ebd., 642.
173 Ebd., 598–601.
174 Unrest, J.: Österreichische Chronik (1957), 90.
175 Ebd., 91. »Unrests Bemerkung […] ist wohl nicht wörtlich zu nehmen.« Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mit-
telalter (1984), 608.
176 Unrest, J.: Österreichische Chronik (1957), 92.
177 Ebd.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353